«Wir können die Spielregeln ändern»

«Wir können die Spielregeln ändern»
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©ANYbotics
13.04.2022 | maxon hat für die neuste Generation des Roboters ANYmal ein kundenspezifisches Antriebssystem entwickelt. Herzstück ist der neue frameless DT Motor, der jetzt auch in ganz anderen Bereichen zum Einsatz kommen kann. Was zeichnet ihn aus?

Interview: Katharina Rilling

 

Max Erick Busse-Grawitz, Wäre der frameless DT Motor ein Superheld – wie müsste man ihn beschreiben?

Als superagiles und ausdauerndes Kraftpaket, viel schneller, als das Auge sehen kann. Beschleunigt in vier Millisekunden auf Top Speed und holt aus 100 Gramm mehr als 1 PS heraus. Er ist schnell, kräftig, überhitzt aber nicht. Er ist quasi ein 100-Meter-Sprinter und Marathonläufer in einem.

 

Auf Youtube sieht man schnellere Roboter auf vier Beinen. Warum ist ANYmal vergleichsweise langsam?

Erst mal: Niemand will, dass einem der Roboter in einer Industrieumgebung oder auf einer Ölplattform entgegenrast. Das wäre viel zu gefährlich. ANYmal kann sich dafür in den widrigsten Umgebungen aufhalten. Regen, Schnee, Salzwasser und Öl können ihm nichts anhaben. Wichtiger als Schnelligkeit ist auch der feste Stand. Der Roboter soll Outdoor-Treppen hochsteigen können, ohne herunterzufallen.

 

maxon hat für ANYbotics einen ganz neuen Antrieb entwickelt. Wieso?

Wir entwickelten einen noch besseren Motor und ein noch besseres Getriebe. Der Antrieb ist nun kleiner, leichter, schneller und effizienter und nicht zuletzt auch preisgünstiger als der Vorgänger. Wir reden von einer Verdoppelung der Spitzenleistung und einer Verdreifachung der Reichweite. 


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EC frameless DT [©maxon]

Ein dynamischer Alleskönner

Die stetig wachsenden Anforderungen an Dynamik, Kompaktheit und Leistungsdichte verlangen nach innovativen neuen Motoren. Mit dem EC frameless DT 50 bringt maxon einen ersten Motor einer neuen Produktfamilie auf den Markt, der diesen Anforderungen im höchsten Masse gerecht wird. Der bürstenlose DC-Motor wurde als frameless-Motor konzipiert und kann einfach in Applikationen integriert werden. Im verbauten Zustand erreicht er spielend ein Nennmoment von über 500mNm bei einer Nenndrehzahl von 4000min-¹. Dies bei einem Stator-Aussendurchmesser von lediglich 50mm. Die neuartige Wickeltechnologie ermöglicht dabei eine sehr kurze Motorlänge mit einer sehr grossen Hohlwelle von 28mm!

 

 

Was macht den Antrieb genau zum superagilen Kraftpaket?

Durch das mechanische Design kommt er mit sehr wenig Reibung aus. Dadurch wird der Roboter leichtläufiger und wird weniger warm. Nehmen wir den Menschen als Vorbild: Die Reibung im menschlichen Körper ist extrem gering. Nur so können wir grosse Kräfte entwickeln und gleichzeitig feinfühlig mit unserem Umfeld umgehen. Ein weiterer Vorteil der geringen Reibung: Wenn der Mensch läuft, holt er die meiste Energie, die er in die Gehbewegung gesteckt hat, durch den Schwung wieder zurück. So gut wie der Mensch sind wir noch lange nicht, aber immerhin haben wir die Reichweite verdreifacht. Für das Herausholen der Energie verwendet der Mensch auch elastische Elemente. Im Antrieb wird dies durch eine Feder gelöst. Hier konnten wir sehr vom Know-how von ANYbotics profitieren. Das Regeln eines solchen Antriebs ist alles andere als einfach, und da hatte ANYbotics einen zehnjährigen Erfahrungsvorsprung.

 

Was passiert, wenn der Roboter gegen etwas rast?

Eine Feder verschafft dem Roboter eine Art eingebaute Intelligenz. Statt mit einer Softwarekeule zu kommen, arbeiteten wir also an der Hardware. Ziehen wir wieder den Vergleich zum Menschen: Unsere Haut besitzt Sensoren. Kollidieren wir mit einem Gegenstand, geben uns diese Sensoren blitzschnell Rückmeldung. Unser Körper passt sein Verhalten an, nimmt die Energie raus, noch bevor wir uns ernsthaft verletzen. Das passiert im Wesentlichen unbewusst. Das Gehirn allein wäre zu langsam, um uns vor spontanen Verletzungen zu schützen. Beim Roboter funktioniert das ähnlich: Bei einer Kollision wird erst einmal die Feder aufgezogen, die das Getriebe vor Kraftspitzen schützt. Währenddessen regelt das System die Motorposition, die dann die Feder entspannt. Wie gesagt, der Motor erreicht in vier Millisekunden seine Maximalgeschwindigkeit, und damit kann er die Kollisionskräfte schneller ausregeln, als es das Auge sehen kann.


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ANYmal-Antriebssystem: Das massgeschneiderte Antriebspaket besteht im Kern aus dem neuen EC frameless DT 50. Dazu kommen Getriebe, Feder, Encoder und Gehäuse. [©maxon]

Der Roboter schützt sich also selber?

Genau. Die Technologie dazu heisst serienelastischer Aktuator (SEA). Klingt einfach, erfordert aber eine intensive firmenübergreifende Zusammenarbeit: Getriebe, Motor, Mechanik, Elektronik, Sensor, Software greifen hier eng ineinander.

 

Klingt komplex. Wie fehleranfällig ist sie?

Im schlimmsten Fall werden Kollisionen, wie gesagt, mechanisch abgefedert. Der Antrieb ist also robust. Das ganze System ist sehr ausgereift, wenn auch mathematisch hochkomplex. Das Know-how dafür wurde in der ETH und bei ANYbotics aufgebaut und im Rahmen der Zusammenarbeit zu uns transferiert.

 

Wo lässt sich der neue Antrieb noch einsetzen?

ANYbotics hat ja eine massgeschneiderte Systemlösung erhalten mit aufeinander abgestimmten Komponenten. Der Motor als Herzstück besteht aber aus unserem neu entwickelten EC frameless DT 50. Diesen bieten wir auch anderen Kunden an. Prinzipiell ist er für Anwendungen mit dynamischen Bewegungen geeignet, wo sich die Geschwindigkeiten blitzschnell ändern. Da sind Antriebe mit kleiner Trägheit von Vorteil.

 

Haben Sie ein konkretes Beispiel?

Neben Robotern kann man den Motor auch in Exoskeletten einsetzen. Der DT 50 hat bei viel Kraft wenig Trägheit und arbeitet damit nicht gegen den Patienten, wenn dieser eine unvorhergesehene Bewegung macht.  Ein Antrieb, der so effizient ist, hat auch Vorteile im darüberliegenden System: Er schont die Batterien und erzeugt weniger Wärme, die eventuell mit lauten Lüftern abtransportiert werden muss. Gerade bei Exoskeletten wollen wir nicht am thermischen Limit fahren: Welcher Mensch möchte schon mit einem Teil am Körper herumlaufen, das sich auf 100 Grad erhitzt! 

 

Wie wird sich der Robotikmarkt entwickeln?

Roboter werden uns als Hilfsinstrument unangenehme Arbeiten mehr und mehr abnehmen können. Zum Antrieb der Zukunft: Hier wird man sich weiter der Natur annähern, indem noch kleinere Motoren und noch mehr Sensoren verbaut werden. Solange aber niemand ein neues physikalisches Gesetz entdeckt, sehe ich keine grossen Sprünge in Sachen Leistungsdichte. Roboter liegen technisch übrigens hinter den Erwartungen zurück. Das liegt wohl daran, dass sie schwer programmierbar sind und recht ungeschickte Bewegungen machen. Die grossen Industrieroboter sind zwar produktiv, aber auch gefährlich und funktionieren nur in geschützter Umgebung. Die kollaborativen Roboter sind oft nicht nützlich genug. Durch die neue Technologie von maxon könnte sich das nun ändern. Unsere Robotikantriebe haben weniger Schwung, verbrauchen weniger mechanische Energie und verursachen, wenn es zur Kollision kommen sollte, weniger Schaden. So könnten wir also im Robotikmarkt rund um die unstrukturierte Umgebung die eine oder andere Spielregel ändern.


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