Verletzungsrisiko durch Messfehler?

Verletzungsrisiko durch Messfehler?
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Bild 1: Messaufbau des Falltestes und Sensorplatzierung
24.10.2019 | Wie eine Kraftmessung mit falschen Messwerten das Verletzungsrisiko beim Fall in eine Personen-Absturz-Sicherung erhöhen kann.

In diesem Beispiel aus der Praxis betrachten wir die Auswirkung des Messfehlers einer dynamischen Kraftmessung an einer Falldämpfung für Personen-Höhen-Sicherung.
 
Unsere Aufgabenstellung stammt von einem Unternehmen, welches u.a. Produkte für die Absturzsicherung entwickelt und herstellt. Aufgrund der Messung der Krafteinwirkung soll die korrekte Dimensionierung der Falldämpfung bzw. Fangstossdämpfer der Personen-Absturzsicherung ermittelt bzw. nachgewiesen werden. Die Fangstossdämpfer kommen bei Seilsicherungssystemen, welche die einwirkende Kraft auf die Sicherungskonstruktion für Arbeiten in der Höhe mit Absturzgefahr und die fallende Person dämpfen sollen zur Anwendung.

Was bedeutet ein falscher Messwert bei dieser Messaufgabe?

Eine durch falsche Messwerte überdimensionierte Dämpfung der Absturzsicherung kann für die fallende Person das Verletzungsrisiko erhöhen. Auch die Sicherungskonstruktion selbst kann dabei überbeansprucht und beschädigt werden. Stellen Sie sich vor, Sie fallen beim Bungy-Jump in ein unnachgiebiges bzw. starres Seil, die dabei auftretenden Kräfte auf Ihren Körper wären enorm, diese sollen durch das nachgiebige Seil gedämpft werden. Bei der Absturzsicherung mit Fangstossdämpfer soll, analog zum nachgiebigen Bungy-Seil, das Risiko einer Verletzung durch den Fall ins Seil vermindert werden.

Der Falltest wird mittels eins Gewichts von z.B. 100 Kg, welches aus einer bestimmten Höhe in das Sicherungssystem fällt durchgeführt, so dass eine Kraft von 6 bis 10 kN auf das System wirkt, siehe Bild 1, "Messaufbau".

Dabei soll die resultierende Kraft auf die beiden Seilhalterungen (im Bild oben die beiden Säulen mit Ösen links und rechts im Bild) sowie die Fallsicherung gemessen und ausgewertet werden.
 
Bevor die Prüfstelle uns kontaktiert hat wurden bereits Messungen mit dem an der Prüfstation vorhandenem Sensor und Messverstärker mit Anzeige durchgeführt, dabei wurde keine grössere Fallkraft als 5kN gemessen.
 
Unsere Aufgabe war es zu verifizieren ob die gemessene Kraft stimmt bzw. falls nicht, welche Kraft in Realität auf die Konstruktion und die Falldämpfung wirkt.
 
Bei der von uns vor Ort durchgeführten Vergleichsmessung viel auf, dass die Grenzfrequenz des zur Messung eingesetzten Messverstärkers bei der bestehenden Messeinrichtung 60 Hz beträgt. Dies bedeutet, dass 60-mal pro Sekunde Messwerte für die Kraft am Zugsensor erfasst und gespeichert werden - nach unserer ersten Einschätzung sind die 60 Hz zu langsam um die volle Kraft, welche sehr schnell und impulsförmig wirkt, korrekt zu messen. Mittels eines am Kraftsensor angebrachten Test-Messverstärkers mit einer Grenzfrequenz von bis zu 1000 Hz eine ca. 2- bis 5-mal grössere Krafteinwirkung messen als dies mit 60 Hz der Fall war.


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Bld 2: Erklärung des Aliasing Effektes
Warum war dies der Fall und wo kommt der Messfehler her?

Die Antwort lautet: "aufgrund des Aliasing Effektes" oder anders ausgedrückt: das Signal des Kraftsensors wurde mit den 60 Hz bzw. einem Messpunkt alle 16,6 ms (Millisekunden) zu langsam abgetastet, der kurze Impuls des fallenden Gewichtes wurde nicht oder unvollständig gemessen.

Im Symbolbild, siehe Bild 2 "Erklärung des Aliasing Effektes", wird mit den roten Punkten die Abtast- bzw. Grenzfrequenz von 60 Hz visualisiert, der gemessene Höchstwert wurde dabei eher zufällig gerade mal auf ca. ¼ des Impulses erfasst.

Der mit 60 Hz erfasste Messwert ist dabei meist zu tief. Den effektiven Impulsspitzenwert mit nur 60 Hz bzw. einer Messung alle 16.6 ms zu erfassen ist eher mit einem Lotteriespiel vergleichbar als mit reproduzierbarer und möglichst korrekter Messdatenerfassung.


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Bild 3: Software zur Datenauswertung und Speicherung
Die Problemlösung
 
Es muss zwingend mit einer schnelleren Grenzfrequenz gemessen werden. Nach unseren Tests reichten schlussendlich 400 Hz aus um die maximal wirkende Kraft des fallenden Gewichtes zu erfassen. Um die minimale Grenzfrequenz zu ermitteln stellen wir am Test-Messverstärker die Grenzfrequenz zuerst auf 1000 Hz und vermindern diese dann Schrittweise bei jedem Testfall des Gewichtes bis der Messwert unstabil wird oder sinkt, die reproduzierbare und stabile Messwerte liefernde Grenzfrequenz stellte sich bei 400 Hz ein.

Unsere Hard- und Softwarelösung für diese Anwendung beinhaltet für den Kunden schlussendlich drei Sensoren, zwei an den Befestigungspunkten des horizontalen Sicherungsseiles, einen am vertikalen Seil beim Fangstossdämpfer, siehe Bild 1 "Messaufbau des Falltestes und Sensorplatzierung".

Für die Kraftsensoren kommen S-Versionen zum Einsatz, der Typ KD80S hat dabei einem Messbereich von ±50kN und eine Genauigkeit von 0.1% vom Messbereich, was für die Aufgabenstellung mehr als ausreichend ist. Der gewählte Sensortyp ist ein DMS (Dehnmessstreifen) Druck-/Zugkraftsensor welcher als Doppelbiegebalken aufgebaut ist. Durch diesen Aufbau sind Querkräfte und Biegemomente bis zu 100% des Messbereichs kompensiert. Zudem sind sie sehr genau und haben ein gutes Preis - Leistungsverhältnis. Ein PC soll die Daten der 3 Sensoren gleichzeitig aufzeichnen um die Kräfte in der ganzen Konstruktion zu dokumentieren und deren Wirken besser verstehen zu können.

Der in der Vertikalen (bei der Falldämpfung) messende Sensor sendet die Daten über eine Bluetooth Verbindung da ein Kabel bei diesem Sensor für den Test stört, die beiden anderen horizontal messenden Sensoren werden über Kabel an den Messverstärker angeschlossen von wo die Daten über USB Schnittstellen zum PC gelangen.

Die Auswertung und Speicherung der Daten erfolgte bei diesem Projekt an einem Laptop mit der im Lieferumfang enthaltenen Windows Software "GSVMulti". Das kompakte Software-Tool zeigt die Daten live an und speichert diese bei Bedarf um sie später auszuwerten. Die GSVMulti kann bis zu 32 Kanäle über der Zeitachse (Y-t Diagramm) oder über einer "X-Achse" (X-Y Diagramm) darstellen und aufzeichnen, sie ist für alle Messverstärker der GSV-Serie des Herstellers "ME" kompatibel, sie kommuniziert über RS232, Bluetooth, USB sowie CAN Bus. Die Messdaten werden bei einer Aufzeichnung als Rohdaten im (ME proprietären) "TDMS" Format gespeichert und können mit dem integrierten "File Monitor" geöffnet, angezeigt und im Text - oder Excel Format exportiert werden.

Fazit
 
Durch die falsch eingestellte Grenzfrequenz und damit zusammenhängende Fehlinterpretation der Messwerte steigt das Verletzungsrisiko beim Sturz in die Sicherung aufgrund der falschen Dimensionierung der Falldämpfung. Mit unserer Lösung konnten wir den Messfehler nachweisen, mit den geeigneten Sensoren und dem richtigen Messverstärker misst bei diesem Projekt niemand mehr Mist und das Schmerzrisiko wurde gesenkt!
 
Der Autor dieses Artikels steht für Antworten auf Ihre Fragen gerne zur Verfügung!

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Rubriken: Messtechnik

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