Rendevous im Weltall

Rendevous im Weltall
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Photos: SENER, Sierra Nevada Corp
18.11.2020 | Die Europäische Weltraumorganisation (ESA) führt ein neues Ankopplungssystem ein, das ein einfaches Zusammentreffen zweier Flugobjekte im All sicherstellen soll. maxon entwickelt dafür zwei spezielle Antriebssysteme.

Auch wenn es schon viele Male gemacht wurde: Das Andockmanöver zweier Flugobjekte im Weltall ist immer eine delikate und potenziell gefährliche Sache. Die Geschwindigkeit ist enorm hoch (etwa 28?000 km/h bei der ISS), und Korrekturen sind schwierig. Nur ein Beispiel: Wenn die beiden Objekte kurz vor dem Zusammentreffen sind, dürfen die Navigationstriebwerke nicht mehr verwendet werden, da sie Beschädigungen verursachen könnten. Aus diesem Grund werden Cargo-Transporter auch mit einem Roboterarm von der Internationalen Raumstation ISS eingefangen und manuell angedockt. Bemannte Raumschiffe dagegen verbinden sich direkt und computergesteuert.
 
In Zukunft sollen solche Andockmanöver einfacher und sicherer werden. Die Europäische Weltraumorganisation (ESA) hat deshalb ein neues Docking-System mit dem Namen IBDM (International Berthing and Docking Mechanism) bei ihren Industriepartnern in Auftrag gegeben. Dieses entspricht dem International Docking System Standard (IDSS), der von den führenden Weltraumorganisationen weltweit vereinbart worden ist. Das System wird also kompatibel mit der ISS und den meisten Flugobjekten sein. Einen der ersten Einsätze dürfte der Mechanismus mit dem Dream Chaser haben, dem Raumgleiter, der wie eine kleine Version eines Space-Shuttles aussieht und künftig Cargo-Flüge zur ISS absolvieren soll. Er wird derzeit von der Sierra Nevada Corporation entwickelt.


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Beim IBDM handelt es sich um ein androgynes Kopplungssystem.

Andockenergie wird absorbiert


Beim IBDM handelt es sich um ein androgynes Kopplungssystem. Das heisst: Auf beiden Seiten kommt eine identische Verbindung zum Einsatz. Diese besteht aus einem festen inneren Ring (Hard-Capture-System) und einem flexiblen Aussenring (Soft-Capture-System), der über sechs Freiheitsgrade und Kraftsensoren verfügt. Über den Aussenring wird zuerst die Andock­energie absorbiert, erst danach kommt es zur definitiven, luftdichten Verbindung, die durch mechanische Haken gesichert wird.
 
Das Unternehmen SENER ist für die Entwicklung und Montage des Hard-Capture-Systems zuständig. Inzwischen ist man am Qualifikationsmodell daran, das 2020 ausführlich getestet werden soll. «Danach soll der IBDM möglichst schnell in einem Versorgungsflug für die ISS eingesetzt werden», sagt Gabriel Ybarra von SENER. Ein nächster Schritt wäre dann unter anderem der Einsatz in der Lunar-Space-Station der NASA, einer Weltraumstation, die ab 2025 den Mond umrundet und als Ausgangspunkt für bemannte Reisen zum Mars dienen könnte.


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Das maxon Antriebsystem aus zwei bürstenlosen EC-4pole 30 Motoren und einem GPX 42 UP Getriebe.

Dualsysteme für maximale Sicherheit


Für die Ingenieure bei SENER ist es ein herausforderndes Projekt: «Wir mussten zuerst alle Anforderungen, die durch ESA und NASA gestellt wurden, komplett verstehen und herausfinden, wie wir diese erfüllen können. Speziell auch mit Bezug auf Sicherheit, denn der Dockingmechanismus meistert ja auch bemannte Flüge.» Die eingesetzten elektrischen Antriebe müssen nicht nur leicht sein und das benötigte Drehmoment liefern, sondern auch äusserst zuverlässig arbeiten. Aus diesem Grund arbeitet SENER seit mehreren Jahren mit dem Antriebsspezialisten maxon zusammen.
Die maxon Ingenieure haben für SENER zwei Antriebe entwickelt, mit denen alle möglichen Funktionen ausgeführt werden können. Der erste besteht aus zwei bürstenlosen EC-4pole Motoren und einem GPX UP Getriebe. Zwölf dieser Antriebe bewegen die Einrasthaken im IBDM-Dockingmechanismus. Beim zweiten Elektroantrieb handelt es sich um eine Kombination aus Flachmotor und Planetengetriebe. Er kommt elfmal zum Einsatz und bewegt unter anderem die Steckverbindungen und die Fanglaschen.
 
Da es sich beim IBDM-Dockingmechanismus um eine flugkritische Anwendung handelt, sind redundante Antriebssysteme notwendig. Sie müssen also auch bei Ausfall des primären Antriebs funktionieren. Oft wird das mit einem zweiten Motor gelöst, der im Notfall einspringen kann. So auch beim Elektroantrieb für die Einrasthaken. Doch für das zweite Antriebssystem haben die maxon Ingenieure eine andere, unkonventionelle Lösung gefunden. Nicht ein zusätzlicher Motor wird verwendet, sondern eine zusätzliche Wicklung. Der eingesetzte Flachmotor besitzt also zwei Wicklungen, und jede kann unabhängig von der anderen den Rotor antreiben. Eine geschickte Lösung, die Sicherheit garantiert und gleichzeitig Platz spart. 
 
Gabriel Ybarra lobt die Zusammenarbeit mit maxon: «Das Team versteht unsere Bedürfnisse und ist jeweils schnell bei Designanpassungen.» Und beide Partner haben ein Herz für mechatronische Systeme. «Es ist wunderbar, in den kompletten Zyklus involviert zu sein – von der Design- über die Produktions- bis hin zur Testphase. Das macht die Sache richtig interessant. Und wenn sich dann das System zum ersten Mal bewegt, ist das, wie wenn man dem eigenen Kind bei den ersten Schritten zuschaut.»


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