Komplexe Bearbeitung unter erschwerten Bedingungen

Komplexe Bearbeitung unter erschwerten Bedingungen
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25.01.2019 | Dreidimensionale Energiekette mit Rückzugssystem in Roboterzelle von Toolcraft.

Eine Roboterzelle der besonderen Art hat das Robotik-Team der MBFZ toolcraft GmbH kürzlich konstruiert und gebaut. Aufgabe der Zelle ist es, sehr komplexe Rohlinge zu bearbeiten, aus denen Werkzeuge für die Elektronikproduktion entstehen. Dabei fallen große Mengen von abrasivem Staub an, außerdem darf die Kette zur Energieführung des Roboters das Werkstück nicht berühren. Unter diesen Bedingungen bewährt sich die dreidimensional bewegliche, geschlossene triflex R-Kette von igus in Kombination mit einem Rückzugssystem. Dies sorgt für eine definierte Führung der Kette am Roboter.
 
In den Produktionshallen der MBFZ toolcraft GmbH im fränkischen Georgensgmünd fertigen mehr als 350 Mitarbeiter anspruchsvolle Bauteile zum Beispiel für die Automobilindustrie, die Medizintechnik und die Luft- und Raumfahrt. Angefangen hat das Unternehmen 1989 mit klassischer zerspantechnischer Metallbearbeitung. 2011 wurden die ersten Anlagen für die additive Fertigung angeschafft, inzwischen befinden sich zehn Laserschmelzanlagen im Maschinenpark.
 
Noch jünger ist das Geschäftsfeld der Robotik, das 2015 etabliert wurde. Es beschäftigt bereits 30 Mitarbeiter und entstand aus dem eigenen Engineering-Bereich. Zum Beispiel nutzt Toolcraft die Robotik, um feinste Polierarbeiten an Displays aus Keramik für den Gangwahlhebel eines Premium-Fahrzeugs zu erledigen. In anderen Roboterzellen werden Bauteile zerspant, entgratet, gebohrt oder vermessen. Thomas Wieland, Bereichsleiter Engineering und Robotik bei Toolcraft: „Wir entwickeln maßgeschneiderte Lösungen – in Bezug auf Branche oder Einsatzgebiet sind keine Grenzen gesetzt. Dabei haben wir das Ziel, alles aus einer Hand zu liefern – einschließlich der Programmierung.“
 
Exotische Roboter-Anwendung: Zerspanung eines Rohlings
Den Beweis für die große Bandbreite der Anwendungen liefert eine durchaus „exotische“ Roboterzelle, die Toolcraft kürzlich fertiggestellt hat und die schon durch ihre schiere Größe auffällt: Die Zelle misst 6x3 m. Aufgabe des Roboters ist es hier, Werkzeuge für die Elektronikproduktion zu fräsen – und das gründlich und genau. Warum gründlich? Thomas Wieland: „. Rund 90 % des Materials werden vom Ausgangsblock bis zum Endprodukt zerspant.“ Und warum genau? „Das Werkzeug muss extrem maßhaltig sein, und die Zielmaße sollen möglichst ohne Nachbearbeitung erreicht werden.“ Außerdem handelt es sich um ein Bauteil mit sehr komplexen Konturen und vielen Hinterschnitten – das ist ein wesentlicher Grund dafür, warum die Robotik hier zum Einsatz kommt: „Im Moment kann der Kunde einige Bearbeitungsoperationen wie z.B. Bohrungen an schlecht zugänglichen Stellen nicht ausführen. Deshalb entstand der Wunsch nach einer Roboterzelle mit zusätzlichem Freiheitsgrad.“
 
Wichtig: Definierte Bewegung der Energiekette
Eine weitere Komplikation ergibt sich aus dem Werkstoff: Bei dem Bauteil handelt es sich um einen Rohling, der in diesem Stadium noch sehr empfindlich ist. Entsprechend behutsam muss der Roboter zu Werke gehen. Dazu gehört auch, dass die Energiezuführung nicht das Werkzeug berühren darf. Die Kette darf also nur definierte Bewegungen machen. Hier kommt igus ins Spiel. Thomas Wieland: „Lose Leitungspakete und Ketten verändern ihr Verhalten mit der Zeit. Das wollten wir ausschließen.“ Deshalb sind die Leitungen in einer dreidimensional beweglichen igus Energiekette vom Typ triflex R untergebracht, die als Roboterkette exakt für solche Anwendungen entwickelt wurde. Sie ist mehrdimensional beweglich, torsionsfähig und erreicht auch bei hoher Dynamik eine sehr lange Lebensdauer. Wichtig für die Anwendung bei Toolcraft ist auch der definierte Anschlag für optimalen Leitungsschutz. Der zweigeteilte Leitungsraum wird jeweils für die elektrischen und die pneumatischen Leitungen verwendet.
 
Beweglichkeit unter erschwerten Umgebungsbedingungen
Bei der Bearbeitung des Rohlings kommt noch eine weitere Anforderung hinzu, die von den Energieketten verlangt wird: Vom Zerspanen kann man hier nicht sprechen. Vielmehr liegt das abgetragene Material als feinster Staub vor, der zwar gesundheitlich unbedenklich ist, aber sehr abrasiv. Deshalb muss die Kette geschlossen und so konstruiert sein, dass kein oder nur sehr wenig Staub ins Innere eindringen kann, um die Leitungen zu schützen.
 
Diese Anforderung gilt übrigens auch für den Roboter selbst. Sein „Innenleben“ wird mit Sperrluft beaufschlagt, um das Eindringen von Staub zu verhindern. Eine kontinuierliche Absaugung sorgt für die geordnete Abführung der Staubmengen aus der gesamten Zelle. Trotz dieser Maßnahmen verbleiben immer noch Staubanteile in der Zelle, die schnell für eine einheitliche mattschwarze Färbung des Arbeitsraums sorgen.
 
Rückzugselement verhindert Kontakt von Kette und Werkstück
Toolcraft verwendet die triflex R in Kombination mit dem Rückzugssystem RS (Bild 3). In die Kette sind Federstäbe aus Fiberglas integriert. Sie erzeugen eine gerichtete Vorspannung und schaffen die Voraussetzung für eine Führung der Kette parallel zum Roboterarm. Damit wird eine definierte, immer reproduzierbare Ketten- und Leitungsbewegung erreicht. Ebenfalls kann so sichergestellt werden, dass die Leitungsführung auch bei komplexen Bewegungsanläufen nicht mit dem Werkstück in Kontakt kommt.
 
Das Rückzugssystem wird als Modul geliefert, das sich platzsparend und schnell am Roboter montieren lässt. Toolcraft hat die Konstruktion noch um ein Gehäuse ergänzt, das zusätzlichen Schutz vor Abrieb gewährleistet. Sowohl mit der triflex R als auch mit dem Rückzugssystem hat das Unternehmen schon in anderen Projekten positive Erfahrungen gesammelt – zum Beispiel bei den bereits erwähnten Anlagen zum Polieren von Displays aus Keramik.
 
Alternative zur bisherigen Bearbeitungsmethode
Bei der Roboterzelle handelt es sich um einen Prototypen, dessen Funktion nun gemeinsam mit dem Kunden bewertet wird. Thomas Wieland: „Das neue Konzept bietet klare Vorteile, aber auch Herausforderungen. Zu den Vorteilen gehört die allseitige Bearbeitung bei sehr komplexen Bewegungsabläufen. Dank Rundtisch und Wendevorrichtung können wir sechs Seiten bearbeiten und zum Beispiel auch Hinterschnitte realisieren. Da der Roboter im Vergleich zur bisherigen Bearbeitungsmethode weniger Führungen benötigt, unterliegt er weniger stark dem Verschleiß durch abrasiven Staub.
 
Fertigung in Kleinserie geplant
Wenn sich dieses erste System bewährt, hat der Anwender eine Fertigung in kleinen Serien in Aussicht gestellt. Bei Toolcraft ist man sehr zuversichtlich, den Anwender überzeugen zu können und künftig mehrere dieser ganz besonderen Roboterzellen zu bauen. Auch in diesen Zellen werden dann wieder die dreidimensional beweglichen triflex R-Roboterketten von igus mit dem RS-Rückzugssystem zum Einsatz kommen.

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