Intelligenter Hydraulik mit IIoT

Intelligenter Hydraulik mit IIoT
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16.11.2021 | Vom reinen Hydrauliksystem zu intelligenter Hydraulik mit IIoT-Anbindung.

Im Jahr 2021 ist es 10 Jahre her, seit das Konzept „Industrie 4.0“ erstmals auf der Hannover Messe vorgestellt wurde. Ein Jahr danach prägte General Electric in Nordamerika den Begriff „Industrial Internet“. Damals war „Industrie 4.0“ noch eine Vision und IIoT, das industrielle Internet der Dinge (Industrial Internet of Things) zeichnete sich erst am Horizont als Prozessrevolution ab. Nun, zehn Jahre danach, sind wir jedoch in einem Industriezeitalter angekommen, in dem intelligente, digital vernetzte Hydrauliklösungen Realität sind.


Bevor wir uns ansehen, wie „Industrie 4.0“ und „IIoT“ die Hydraulik verändert haben, sollten wir uns darüber im Klaren sein, was wir damit meinen, da diese Begriffe oft unterschiedlich und manchmal austauschbar verwendet werden. Mit „Industrie 4.0“ wird allgemein die vierte in einer Reihe industrieller Revolutionen bezeichnet, bei der die Produktion und die verschiedenen Produktionsprozesse durch cyber-physische Systeme (CPS) koordiniert, integriert und überwacht werden. Herzstück dieser cyber-physischen Systeme ist die Computertechnologie. Die anderen vorangegangenen Revolutionen sind die Mechanisierung im späten 18. Jahrhundert, die Arbeitsteilung und die Nutzung neuer Energiequellen im späten 19. Jahrhundert und die Automatisierung ab den späten 1960er Jahren mit der Entwicklung von speicherprogrammierbaren Steuerungen (SPS) und Robotern. Industrie 4.0 ist eine Philosophie, die auch industrielle Konzepte wie „Schlanke Produktion“ (Lean Production) umfasst.


IIoT macht dies möglich. Die Konnektivität intelligenter Basistechnologien, zu denen fortschrittliche Sensoren, digitale Antriebe und andere Geräte gehören, ermöglicht Effizienzsteigerungen in den Prozessen. In der Fluidtechnik werden nun intelligente Sensortechnologien eingesetzt, um Temperatur, Druck, Durchfluss, Füllstand sowie Hub und Position in Hydraulikzylindern zu überwachen, Informationen über hydraulische Prozesse sowie über Komponenten in Echtzeit bereitzustellen und diese zur Verbesserung der Abläufe zu analysieren und zu visualisieren.

 
Eine intelligente digitale Antriebslösung umfasst beispielsweise eine Maschinensteuerung, die Dokumentation der Datenanalyse in der Cloud, die Überwachung und Visualisierung der erfassten Daten auf einem PC, die autonome Achse im Feld, die Temperatur-, Durchfluss- und Füllstandsüberwachung sowie die Druckmessung. Nicht zu vergessen die Parametrierung und Kommunikation von der Feldebene zur Steuerung über den Kommunikationsstandard IO-Link. 


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Einsatz in einer Vielzahl von Branchen

 

Intelligente Hydraulik wird heute in einer Vielzahl von Branchen, Prozessen und Anwendungen eingesetzt, von der Eisen- und Stahlindustrie über das Stanzen im Automobilsektor, in der Schifffahrtsindustrie, der Offshore-Exploration und -Förderung in der Öl- und Gasindustrie bis hin zu Offshore-Windparks, um nur einige Anwendungen zu nennen. Die ultraschnelle rückgekoppelte Bewegungskompensation ist jetzt beispielsweise in Gangway-Systeme integriert, um wellen- oder windbedingte Bewegungen in Echtzeit auszugleichen. Außerdem werden intelligente Hydrauliksysteme von Herstellern von Systemen zum Heben und Bewegen von Lasten eingesetzt, um die beim Heben und Bewegen freigesetzte Energie zu speichern, indem sie die Aufwärtsbewegung eines Schiffes nutzen und diese Energie bei Bedarf während der Abwärtsbewegung aus einem Hydrospeicher zurückgewinnen. In der Windkraftbranche stellen intelligente Systeme mit Sensoren die Flügel von Windkraftanlagen so ein, dass der Wind optimal genutzt wird. Magnetostriktive Positionsmesssysteme ermöglichen die Rückmeldung der Kolbenposition von Hydraulikzylindern. Intelligente Hydraulik ist in Steuerventilen und in Hydraulikaggregaten zu finden.

Lösungen wie diese können in bestehende oder neue Anlagen integriert werden, um die Effizienz zu steigern. Analoge „Brownfield“-Systeme mit klassischen Hydrauliksystemen können leicht zu intelligenten digitalen Systemen aufgerüstet werden – aber dazu später mehr in einem Beispiel aus der Wasserkraft.



Warum Unternehmen auf intelligente Hydraulik umsteigen


Abgesehen vom Wunsch nach höheren Renditen durch höhere Effizienz und Produktivität, worauf muss ein Unternehmen achten, wenn es bei der Hydraulik den Schritt ins IIoT wagt?
Auf jeden Fall auf die Sicherheit, wie das Beispiel der Bewegungskompensation bei Gangway-Systemen zeigt. Ein weiterer Aspekt ist die Verringerung des Energieverbrauchs. Außerdem kann digitalisierte Antriebshydraulik den Materialverbrauch und die Abfallmenge reduzieren, wodurch die Anlagen sauberer und umweltfreundlicher werden. Einige der größten Vorteile liegen jedoch in der vorausschauenden Wartung zur Verringerung der Ausfallzeiten, die auf einer sehr präzisen Zustandsüberwachung, -analyse und -modellierung beruht.


Im Falle der vorausschauenden Wartung ermöglichen intelligente Sensoren Prozesstransparenz und bieten Analysemöglichkeiten, von denen wir vor 20 Jahren nur träumen konnten.  Wir sind nun in der Lage, eine laufende Überwachung durchzuführen, um in Echtzeit Daten zu erfassen und zu analysieren und den Zustand zu diagnostizieren und zu visualisieren. Dadurch wird eine höhere Anlagenverfügbarkeit erreicht. Mithilfe der Informationen kann der Ausfall eines bestimmten Bauteils oder dessen Lebensdauer vorhergesagt werden, sodass bei Bedarf Maßnahmen ergriffen werden können.


So erreichen wir ein höheres Maß an Effizienz als bei vorbeugender Wartung, die zeitabhängig (z. B. nach jeweils sechs Monaten) oder nutzungsabhängig (z. B. nach einer bestimmten Anzahl von Hubbewegungen eines Hebezeugs) durchgeführt wird. Datengestützte Diagnose kann aus der Ferne durchgeführt werden. Bei einer Offshore-Windkraftanlage kann dies beispielsweise erhebliche Kosten einsparen und die Arbeitssicherheit erhöhen, da das Personal weniger Zeit damit verbringt, zu den Anlagen zu fahren, um Störungen unter prekären Arbeitsbedingungen zu diagnostizieren oder zu beheben.


Aktuell zeigte sich ein unerwarteter Vorteil des IIoT während der Corona-Pandemie, als das Reisen zu Standorten erschwert wurde. Die Beeinträchtigungen waren geringer, wenn sich die Teams auf Sensoren im Feld verlassen konnten, um die Einrichtungen aus der Ferne zu überwachen.

Wichtige Aspekte bei einem intelligenten Hydrauliksystem

 

Im Hinblick auf intelligentes Design und Lebenszyklus-Management einer Maschine müssen zu Beginn mehrere Schlüsselfaktoren berücksichtigt werden. Diese sollten im Zusammenhang mit der Investitionsrendite ((eher)) aus IIoT-Applikationen und der Zukunftssicherheit von Prozessen (z. B. durch modularen Aufbau und modulare Architektur) betrachtet werden.
Zunächst müssen für eine optimale Auswahl der IIoT-Komponenten die Parameter der Anwendung oder des Prozesses bestimmt werden. Außerdem muss entschieden werden, wie viele Informationen welcher Art gesammelt werden sollen und welche Ressourcen für die Handhabung und Nutzung dieser Informationen eingesetzt werden.


Die Geräte müssen natürlich für den Prozess geeignet sein. Ist der Sensor robust genug, um der Kälte von Offshore-Anwendungen unter arktischen Bedingungen standzuhalten? Funktioniert ein Positionssensor zur Überwachung eines Hydraulikzylinders bei Hitzeeinwirkung in der Stahlindustrie ordnungsgemäß? Sind Hitzeschilde oder andere Schutzmaßnahmen erforderlich, um die Auswirkungen der Umgebungswärme durch Ableitung, Konversion oder Infrarotstrahlung abzuschwächen? Sind die Sensoren Flüssigkeiten wie Kühlmitteln, Öl oder Wasser ausgesetzt und verfügen sie über die für die Aufgabe erforderliche Schutzart? Hitze, Kälte, physische Einwirkung und Erschütterungen, Vibrationen, das Eindringen von Flüssigkeiten, das Vorhandensein korrosiver Chemikalien und hoher Zylinderdruck gehören zu den Faktoren, die zu berücksichtigen sind.


Eine gute Orientierung bietet die Sensorprüfung nach IEC 60068-2, einer Methodensammlung der International Electrotechnical Commission für Umweltprüfungen. Die Integration redundanter Sensoren oder redundanter Ausgänge in einen Prozess kann auch die Auswirkungen möglicher Fehlfunktionen in extremen Umgebungen abmildern.


 
SPS, Edge- und Clouding-Computing


Im Wesentlichen geht es darum, wo und wie die Daten verarbeitet und analysiert werden. Dies kann direkt in der Steuereinheit erfolgen. Oder die Daten werden per Edge Computing vor der weiteren Übertragung in der Nähe der Datenquellen verarbeitet und analysiert, z. B. bei Öl- und Gasförderstätten an sehr abgelegenen Orten. Alternativ kann die Verarbeitung und Analyse per Cloud Computing erfolgen. Es kann jedoch möglicherweise zu Verbindungsproblemen kommen, so dass Edge Computing an einigen abgelegenen Standorten die beste Option ist.


Welcher Weg eingeschlagen wird, hängt in der Regel von den Datenraten, dem Datenvolumen, der Skalierbarkeit bei steigendem Datenvolumen, der Latenz (Verzögerungszeiten im Netz), dem Datenschutz und der Sicherheit sowie der Zuverlässigkeit und natürlich den Kosten ab. Eine große Anzahl von Altgeräten – wie es in der Prozessindustrie häufig der Fall ist – erfordert die Möglichkeit, analoge Geräte effizient in das IIoT zu integrieren. Dies ist z. B. mit IO-Link möglich.


 
IO-Link als kosteneffiziente Kommunikationslösung


IO-Link ist ein internationaler Kommunikationsstandard (IEC 61131-9) der IO-Link Community, der sich zu einem wichtigen Wegbereiter für Industrie 4.0 und das IIoT entwickelt hat. Seine Bedeutung in der Industrie wird auch mit den dramatischen Veränderungen verglichen, die die SPS und die Automatisierung ab Ende der 1960er Jahre mit sich brachten. IO-Link hat der industriellen Automatisierung einen enormen Schub gegeben und wird wegen seiner Unkompliziertheit und Universalität auch oft mit USB verglichen. Mit IO-Link kann ein Antrieb oder ein Hydrauliksystem für das IIoT ertüchtigt werden.


IO-Link ermöglicht eine bidirektionale Punkt-zu-Punkt-Kommunikation zwischen IO-Link-Geräten im Feld (d. h. Sensoren und Aktuatoren) und einem IO-Link-Master. Der IO-Link-Master bildet auch die Schnittstelle zur Steuerung über verschiedene Netzwerke oder Bussysteme. Dies ermöglicht die Konfiguration und Diagnose von zentraler Stelle aus. Prozessdaten, Servicedaten über die Geräte sowie Ereignisse werden in hervorragender Signalqualität übermittelt. Das macht sie zu einer starken Kommunikationsbasis für die nachgelagerte Dokumentation, Speicherung, Visualisierung und Analyse von Daten direkt in der Cloud oder auf einem Edge-Computing-Gerät.


Eine der vielen Stärken von IO-Link ist, dass man nur ungeschirmte drei- oder vieradrige vorgefertigte Standardkabel benötigt, sodass die Kosten für eine aufwändige und teure Verkabelung eingespart werden.


Die Signale sind zudem äußerst robust und analoge Signale können durch Digitalisierung rauschfrei übertragen werden. IO-Link kann leicht in Systeme integriert werden und ist herstellerneutral. Sobald IO-Link-Geräte mit dem Master verbunden sind, werden sie mit wenig Aufwand erkannt und konfiguriert. Beim Austausch eines IO-Link-Geräts werden die Parameter automatisch vom IO-Link-Master oder der Steuerung geschrieben.
 
 
Modernisierung eines Wasserkraftwerks
 
Ein sehr erfolgreiches Beispiel für die Aufrüstung einer bestehenden Anlage mit modernsten IIoT-Technologien ist das Mount Coffee-Wasserkraftwerksprojekt in der Nähe von Monrovia, der Hauptstadt Liberias. Das Kraftwerk wurde in den späten 1960er Jahren am St. Paul River errichtet und hatte einst eine maximale Leistung von 64 MW. Es wurde während des Bürgerkriegs 1989-1993 schwer beschädigt und geplündert und blieb rund 20 Jahre lang außer Betrieb. Ein wichtiger Teil der Arbeiten war die Modernisierung der radialen Einlauftore, die den Wasserstand regeln, Wasser in die Turbinen leiten und im Falle einer Störung den Einlauf vollständig schließen.

Die Anlage verfügt über 10 radiale Einlauftore mit einer Breite von etwa 15 Metern zur Regelung des Wasserstands. Weitere vier Einlauftore regeln den Wasserfluss in die Turbinen und die Notabschaltung. Hierfür kommen hydraulische Antriebe zum Einsatz.
 
Die Arbeiten zur Wiederherstellung und Modernisierung der Anlage begannen Ende 2016 und sind nun abgeschlossen. Die Anlage wurde mit zwei IO-Link-Mastern in einem Schaltkasten an jedem Tor konfiguriert, wobei jeder dieser Schaltkästen bis zu 20 verschiedene Signale empfängt. Die Daten werden von (induktiven und kapazitiven) End- und Positionsschaltern sowie von Sensoren erfasst, die Informationen über die Bewegung der Radialtore liefern. Auch von den Ventilen, die die Tore steuern, regeln und schließen, werden Daten erfasst. Darüber hinaus sind auch verschiedene Signalleuchten und beleuchtete Schalter über IO-Link angeschlossen. Es werden ungeschirmte dreiadrige Kabel mit M12-Steckverbindern verwendet. Da die Kommunikation mit IO-Link bidirektional über eine Standardverkabelung erfolgt, konnten Umfang und Kosten der Verkabelung minimiert werden. Aufgrund der Unkompliziertheit von IO-Link konnte eine Zeitersparnis von ca. 50 % bei der Kabelinstallation erreicht werden.
 
Jedes der Module wurde vor der Auslieferung getestet und vor Ort einfach eingesteckt. Die Schaltkästen sind über Profibus DP mit der Leitebene verbunden. Im Falle einer Störung wird eine Ereigniswarnung ausgegeben, was schnelle Abhilfemaßnahmen ermöglicht. In einem Fall musste während der Installationsphase ein Sensor-Hub ausgetauscht werden. Während dies sonst ein zeitaufwändiges Unterfangen gewesen wäre, wurden mit IO-Link die relevanten Diagnoseinformationen vom Sensor-Hub empfangen und nur ein Mitarbeiter war für den Austausch erforderlich. Heute stellt das mit vernetzten Hydrauliktechnologien ausgestattete Mt. Coffee-Wasserkraftwerk mit einer maximalen Leistung von 88 Megawatt grünen Strom für eine Million Menschen bereit.
 
 
Kombisensoren und weitere Optimierung des IIoT
 
Im Jahr 2021, 10 Jahre nach den ersten konkreten Schritten hinsichtlich Industrie 4.0 und IIoT, finden wir uns in einer sich schnell entwickelnden Industrielandschaft, die auf IIoT-Fähigkeiten basiert. Es ist zu erwarten, dass 5G eine schnellere Übertragung ermöglicht und die Latenz in den Netzen verringert. Auch die Geräte werden immer kleiner; eine interessante Entwicklung ist der Einsatz von platzsparenden Kombisensoren bei der Zustandsüberwachung von Hydraulikkomponenten und -prozessen. Diese erfassen und verarbeiten beispielsweise Daten zu Vibration, relativer Feuchte, Kontakttemperatur und Umgebungsdruck, verarbeiten diese Informationen und übertragen sie über IO-Link an das Leitsystem, wo sie weiter analysiert, visualisiert und zur Erstellung von Modellen verwendet werden können. Diese Sensoren erkennen und kommunizieren auch ihren eigenen Zustand und stellen sicher, dass die Bediener über ihre Temperatur, die Anzahl der Betriebsstunden und die Startzyklen informiert sind. Wie andere Sensoren auch lassen sie sich einfach über IO-Link parametrieren. Auch wenn Kombisensoren nicht in allen relevanten Prozessen Einzelsensoren ersetzen können, treten ihre Vorteile zunehmend ans Licht, insbesondere in unkritischen Prozessen, wo sie besonders kosteneffizient sind.
 
Auf dem Weg zu intelligenter Hydraulik hat sich viel getan. Aber auch der Horizont verschiebt sich immer weiter. Wir können in den kommenden Jahren mit weiteren Verbesserungen durch technologische Fortschritte rechnen. In dieser Hinsicht können wir davon ausgehen, dass intelligente Hydrauliksysteme in Zukunft noch intelligenter werden und für noch mehr Effizienz in der Industrie sorgen werden.


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