Mit Superlativen ist Andrew McAfee normalerweise zurückhaltend. Aber in diesem Fall wird der Co-Direktor der «MIT Initiative on the Digital Economy» und stellvertretende Direktor des «Center for Digital Business an der MIT Sloan School of Management, mehr als deutlich: «Generative KI als revolutionär zu bezeichnen, ist keine Übertreibung. Unternehmensleiter sollten sie als eine Allzwecktechnologie betrachten, die mit der Elektrizität, der Dampfmaschine und dem Internet vergleichbar ist», schreibt der 57-Jährige in der «Harvard Business Review».
Vom Chatbot «Eliza» zur Schachintelligenz «Deep Blue»
Künstliche Intelligenz? Wir spulen zurück in der Geschichte der KI. 1936 beweist der britische Mathematiker Alan Turing, dass eine Rechenmaschine in der Lage wäre, kognitive Prozesse auszuführen, sofern diese sich in mehrere Einzelschritte zerlegen und durch einen Algorithmus darstellen lassen. Damit legt er den Grundstein für das, was wir heute unter Künstlicher Intelligenz verstehen. Zwanzig Jahre später – 1956 – wird der Begriff KI erstmals an einer Konferenz am Dartmouth College im US-Bundesstaat New Hampshire erwähnt. Wiederum zehn Jahre später erfolgt die Geburt des ersten Chatbots – «Eliza», eine Erfindung des deutsch-amerikanischen Informatikers Joseph Weizenbaum vom Massachusetts Institute of Technology (MIT). Jetzt nimmt die Entwicklung Fahrt auf. 1972 wird KI zum ersten Mal an der Stanford University bei der Diagnose und Therapie von Krankheiten eingesetzt, 1997 schlägt die KI-Schachmaschine «Deep Blue» der Firma IBM den amtierenden Schachweltmeister Garry Kasparov, und 2011 erreicht sie schliesslich mit «Siri» von Apple den Alltag (2014 folgt «Cortana von Microsoft, 2015 «Alexa» von Amazon).
Maschinelle Lerntechnologie löst Boom aus
Die Revolution – um in den Worten des eingangs zitierten Andrew McAfee zu bleiben – startet aber erst im November 2022 so richtig durch. Das US-amerikanische Unternehmen OpenAI aus San Francisco lanciert ChatGPT, ein Chatbot mit integriertem Generative Pre-trained Transformer (maschinelle Lerntechnologie). Was nun folgt, ist in der Geschichte einmalig: Innerhalb von fünf Tagen melden sich eine Million Nutzende an, zwei Monate später erreicht ChatGPT bereits 100 Millionen Menschen. «Und das ist erst der Anfang», weiss Petra Kugler, Professorin für Strategie und Management an der OST – Ostschweizer Fachhochschule. «Generative künstliche Intelligenz ist schon heute aus dem Alltag in Unternehmen nicht mehr wegzudenken.»
Generative Intelligenz ist ein mächtiges Werkzeug. «Generative Intelligenz ist in der Lage, Dinge zu kombinieren, die dem Anschein nach nichts miteinander zu tun haben und so Ideen anzustossen, die jenseits des Erwartbaren liegen», schreibt ein Team um Tojin T. Eapen von der University of Missouri im «Harvard Business Manager». «ChatGPT & Co. werden Innovationen nicht nur beflügeln, sie werden auch Dinge ermöglichen, die bislang kaum denkbar waren.»
KI-Design für Ketchup und Auto
Was darunter zu verstehen ist, zeigt Petra Kugler auf ihrem Computer. Vom frei verfügbaren Programm Craiyon (ein Akronym für Create AI Art) lässt sie aus den Begriffen «Auto», «Schmetterling» und «Blume» eine Fotomontage kreieren – ein Sujet, das die OST-Professorin für die Bewerbung des Tagesseminars «Innovation durch ChatGPT und Generative KI» nutzt –, und aus den Begriffen «Vogel» und «Affe» lässt sie eine Chimäre entstehen, ein Mischlebewesen.
Die Übergänge sind zwar noch etwas holperig – aber verblüffend. «Diese ‹Generative KI› können wir künftig auch im Innovations- und Strategieprozess von Unternehmen nutzen», sagt Petra Kugler. Als Beispiel zeigt sie eine Kampagne der kanadischen Agentur Rethink Canada für das Unternehmen Kraft Heinz Company. Aus einer Variation von Begriffen lasse sich im Handumdrehen ein neues Design für Ketchup entwickeln.
Um das Potenzial zu verdeutlichen, verweist Petra Kugler auf einen Artikel, der in der «MIT Sloan Management Review» erschienen ist. Für ein einziges Design geben Automobilhersteller bis zu 3 Milliarden Dollar aus. Dank der generativen KI werde der Innovationsprozess beschleunigt und genauer auf implizite oder explizite Kundenwünsche ausgerichtet – «Wir sind in der Lage, neue Bilder zu generieren, die ästhetisch sehr ansprechend sind und schnell bewertet werden können», wird MIT-Professor John R. Hauser im Beitrag zitiert. Als Beispiel nennt Hauser den «Buik Enclave», ein Geländewagen von General Motors, der auf dem Desktop aus dem «Buik Rendezvous» re-designt wurde.
Generative KI in Forschung, Lehre und Weiterbildung
Welches wirtschaftliche Potenzial in der Generativen KI steckt, zeigt eine Studie von McKinsey: «GenAI-Technologien wie ChatGPT oder DALL-E können theoretisch einen jährlichen Produktionszuwachs von 2,6 bis 4,4 Billionen US-Dollar ermöglichen. Dies liegt in der Grössenordnung des Bruttoinlandsprodukts des Vereinigten Königreichs im Jahr 2021 von rund 3,1 Billionen US-Dollar», heisst es im Bericht des global tätigen Unternehmensberaters vom Juni 2023. Der Grossteil des Zuwachses werde von den vier Bereichen Kundenbetreuung, Marketing und Vertrieb, Software-Engineering sowie Forschung und Entwicklung erzielt.
Auch an der OST – Ostschweizer Fachhochschule ist Generative KI ein Thema, das beschäftigt. «Es werden angewandte Forschungsprojekte initiiert, Generative KI wird zunehmend in die Lehre integriert und wir bieten auch schon Weiterbildungsmodule dazu an», sagt Petra Kugler, Professorin für Strategie und Management an der OST. «Einerseits zeigen wir, was hinter der Technologie steckt und welche Bedeutung diese vor allem für Wissensarbeitende hat. Andererseits zeigen wir, wie diese konkret im Unternehmen angewendet werden kann.» In der Weiterbildung stehe der Austausch mit der Praxis im Fokus – mit Unternehmen aus der Ostschweiz. Petra Kugler: «Ein besonders grosses unterstützendes Potenzial bietet die Generative KI, wenn es darum geht, nach kreativen Lösungen zu suchen, wie im Innovations- und Strategieprozess.»