Unverhofft ins Schwarze getroffen

Unverhofft ins Schwarze getroffen
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Biegsam, aber robust: Elektronische Schaltungen auf einer Folie aus Polyimid aus dem Empa-Labor bilden synaptische Transistoren. Bild: Empa
Archiv | 24.09.2022 | Im Projekt «FOXIP» haben zwei Empa-Teams mit Forschungspartnern versucht, Dünnfilm-Transistoren mit Metalloxiden auf hitzeempfindliche Materialien wie Papier und PET zu drucken. Das Ziel wurde letztlich nicht erreicht, doch die Beteiligten werten das Projekt als Erfolg – wegen einer neuen Druckertinte und eines Transistors mit Memory-Effekt.

Die Latte war ohne Zweifel hochgelegt: Im Forschungsprojekt «Functional Oxides Printed on Polymers and Paper» – kurz: «FOXIP» – sollte es gelingen, Dünnfilm-Transistoren auf Papierträger oder PET-Folien zu drucken. Elektronische Schaltungen mit solchen Elementen spielen im wachsenden Internet der Dinge eine wichtige Rolle, zum Beispiel als Sensoren auf Dokumenten, Flaschen, Verpackungen … – ein weltweiter Milliardenmarkt.

 

Gelänge es, solche Transistoren mit anorganischen Metalloxiden herzustellen, würde das neue Horizonte eröffnen. Verglichen mit organischen Materialien wie etwa dem halbleitenden Polymer Polythiophenen, so erklärt Projektleiter Yaroslav Romanyuk vom «Laboratory for Thin Films and Photovoltaics» der Empa, seien die Elektronen darin sehr viel beweglicher. Sie könnten die Leistung solcher Elemente also deutlich erhöhen und müssen nicht mit einer teuren Verkapselung gegen den Einfluss von Luft und Feuchtigkeit geschützt werden.

 

Hitze als Herausforderung


Das Problem bei Tinten mit Metalloxiden: Damit daraus ein stabiler Transistor wird, muss nach dem Druck gesintert werden – typischerweise in einem Ofen. Alternativ kann man auch mit Licht trocknen und sintern – zum Beispiel mit niederwelliger ultravioletter Strahlung oder einer Xenon-Lampe: Die gedruckte Schicht wird mit sehr kurzen Lichtblitzen erhitzt, um das Trägermaterial zu schonen. Dabei verlassen Wasser, Lösungsmittel und Bindemittel das Material.


Dennoch erhitzen solche Verfahren das Trägermaterial auf bis zu 200 Grad – viel zu heiss für Papier oder PET, das schon bei unter 80 Grad beginnt, seine Festigkeit zu verlieren, während andere Kunststoff wie Polyimide deutlich höheren Temperaturen widerstehen.


Von 2017 bis 2021 tüftelten Fachleute der Empa, des «Soft Transducers Laboratory» der EPFL und der «Polymer Nanotechnology Group» am Paul Scherrer Institut in einem Projekt der Forschungsinitiative «Strategic Focus Area – Advanced Manufacturing» (SFA-AM), die vom ETH-Rat ins Leben gerufen wurde, an sämtlichen Schritten des Verfahrens: zum Beispiel Beschichtungen, um die Oberfläche von Papier zu glätten, Tintenrezepturen, Bestrahlungen … – und erreichten etliche Fortschritte.


Doch der «ultimative Wunsch», wie Yaroslav Romanyuk sagt, funktionsfähige Dünnschicht-Transistoren auf Papier zu drucken, erfüllte sich nicht: zu hoch die Temperaturen, zu rau das Material. Und die gedruckten Transistoren auf Polymerfolien hatten schliesslich eine zu geringe elektrische Leistung.


Viele Überraschungen


Enttäuscht? Nein, meint Jakob Heier von der Empa-Abteilung «Funktionspolymere»: «Ein Misserfolg war das Projekt keineswegs.» Nicht nur wegen neuer Einsichten bei technischen Details – sondern wegen unerwarteter «Seiten-Resultate»: «Das war ein hochspannendes Projekt mit vielen Überraschungen.» Zum Beispiel gab es einen Vorfall, der Folgen haben sollte – mit dem Material Graphen: leitfähiger Kohlenstoff in atomdünnen Lagen, der auch für gedruckte Transistoren auf flexiblen Folien gut geeignet ist.


Ein Doktorand im Team wollte sich nicht damit zufriedengeben, dass sich Graphen-Tinten bei höherer Konzentration nicht mehr drucken lassen: Die Teilchen aggregieren; sie «verklumpen» – und ein gelungener, dünner Film kann sich so nicht bilden. Statt nur ein Lösungsmittel zu benutzen, versuchte der Mitarbeiter es mit einer speziellen Emulsion aus Graphen und drei Lösungsmitteln. Aber auch diese Beschichtung misslang im ersten Anlauf. Doch als die Tinte im nächsten Versuch gleichmässig gemischt und dann leichten Scherkräften ausgesetzt wurde, gelang der Druck.


Woran lag das?


Neugierig geworden, erkundeten die Fachleute das Phänomen und fanden heraus, dass die Scherkräfte den Aufbau der Tinte grundsätzlich verändern. Die feinen Graphen-Blättchen in der Flüssigkeit formieren sich neu, so dass nun van der Waals-Kräfte wirksam werden: relativ schwache Anziehungskräfte zwischen Atomen oder Molekülen. So entstand eine gelartige Tinte – ohne Bindemittel wie Polymere, die sonst dafür sorgen, dass die Flüssigkeit ihre Konsistenz behält und sich nicht «entmischt».


Verfahren mit Marktpotenzial


Eine Lösung mit praktischem Nutzen also, die noch dazu bei Raumtemperatur funktioniert; die Tinte trocknet ohne Erhitzung. Wie sich zeigte, lassen sich solche van der Waals-Tinten nicht nur mit Graphen herstellen, sondern auch mit anderen zweidimensionalen Substanzen für den Druck. Mittlerweile ist das Verfahren patentiert, und einige Unternehmen, so die Fachleute, zeigen bereits Interesse daran, die begehrten Tinten zu produzieren – das alles nach einem Zufall, den das Team mit gesunder Forscherneugier weiterverfolgt hatte.


Nicht die einzige Überraschung beim FOXIP-Projekt, wie Yaroslav Romanyuk erzählt. Ein Feldeffekt-Transistor mit einer isolierenden Schicht aus Aluminiumoxid, der in Versuchen auf einen hitzebeständigen Polyimid-Kunststoff gedruckt wurde, offenbarte ein sonderbares Verhalten. Statt eines konstanten Signals, das zu erwarten gewesen wäre, zeigten sich ansteigende «Wellen»: Das Ausgangssignal wurde stärker, weil es sich an vorherige eingehende Signale «erinnerte». «Das ist eigentlich unerwünscht, wenn ein Transistor so ein «Gedächtnis» zeigt», erklärt Romanyuk.


Doch ein Student im Team hatte die Idee, das Phänomen anderweitig zu nutzen: Ein Transistor mit einem derartigen Memory-Effekt funktioniert ähnlich wie Schaltungen im menschlichen Gehirn: Synapsen zwischen den Nervenzellen übertragen nicht nur Signale, sondern speichern sie auch. Für die Vision von Computern, die das menschliche Gehirn nachahmen, könnte so ein synaptischer Transistor also interessant sein. Doch was könnte er leisten?


Mit Mozarts Hilfe


Um sein Potenzial zu erkunden, baute das Team eine elektronische Kopie des menschlichen Hörvorgangs mitsamt dem Dünnschicht-Transistor – und fütterte es mit einer beliebten Mozart-Melodie: Rondo «Alla Turca» aus der Sonate Nr. 11 in A-Dur. «Es sollte ein lebhaftes Stück sein», sage Romanyuk mit einem Schmunzeln. Bei diesem Versuch und weiteren Analysen zeigte sich, dass die synaptische Funktion des Transistors von wenigen Hertz bis zu fast 50'000 Hertz erhalten bleibt – eine deutlich höhere Bandbreite als bei vergleichbaren gedruckten Transistoren.


Konkrete Anwendungen sind – anders als bei der Drucktinte ohne Bindemittel – bei dieser Grundlagenforschung, die das Team im Online-Fachjournal «Scientific Reports» publizierte, freilich noch nicht in Sicht. Doch auf dem Weg zu neuen Computertechnologien sind die Einsichten womöglich ein nützlicher Schritt, der überraschend kam – wie schon oft in der Geschichte der Wissenschaft.


Solche Zufälle sind für Romanyuk und viele andere Forschende quasi das Salz in der Suppe – gerade bei Projekten an der Grenze des Machbaren. «Wir hatten unsere Ziele ja ganz bewusst sehr hoch gesteckt», sagt er, «Zufälle spielen dabei eine sehr grosse Rolle! Man stellt sich einer grossen Herausforderung und dann, plötzlich und unerwartet, passieren diese Zufälle einfach.»


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