Lastet längere Zeit zu viel Druck auf unserer Haut, nimmt sie Schaden. Zu den Bevölkerungsgruppen, die einem hohen Risiko für derartige Druckverletzungen ausgesetzt sind, gehören beispielsweise Menschen im Rollstuhl, Neugeborene auf der Intensivstation oder Betagte. Die Folgen sind Wunden, Infektionen und Schmerzen.
Die Behandlung ist aufwändig und teuer: Jährlich entstehen Gesundheitskosten von rund 300 Millionen Schweizer Franken. «Darüber hinaus können bestehende Erkrankungen durch derartige Druckverletzungen verschlimmert werden», sagt Empa-Forscher Simon Annaheim vom «Biomimetic Membranes and Textiles»-Labor in St. Gallen. Nachhaltiger wäre es, so Annaheim, den Gewebeschäden vorzubeugen, um sie gar nicht erst entstehen zu lassen. Zwei aktuelle Forschungsprojekte unter Beteiligung der Empa bringen nun entsprechende Lösungen voran: Entwickelt wird hierbei eine Druck-ausgleichende Matratze für Neugeborene auf der Intensivstation und ein textiles Sensorsystem für querschnittsgelähmte Personen und bettlägerige Menschen.
Optimal gebettet am Start des Lebens
Dabei sind die Ansprüche der Haut je nach Alter völlig unterschiedlich: Bei Erwachsenen stehen die Reibung der Haut auf der Liegefläche, physikalische Scherkräfte im Gewebe und eine fehlende Atmungsaktivität von Textilien als Risikofaktoren im Vordergrund. Die Haut von Neugeborenen, die intensivmedizinisch behandelt werden, ist dagegen per se äusserst empfindlich, jeder Flüssigkeits- und Wärmeverlust über die Haut kann zum Problem werden. «Während diese besonders verletzlichen Babys gesundgepflegt werden, sollte die Liegesituation keine zusätzlichen Komplikationen hervorrufen», so Empa-Forscher Annaheim. Dass herkömmliche Matratzen die Lösung für Neugeborene mit ganz unterschiedlichem Gewicht und verschiedenen Erkrankungen sein können, glaubt er nicht. Das Team um Annaheim sucht daher mit Forschenden der ETH Zürich, der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) und des Universitäts-Kinderspital Zürich nach einer optimalen Liegefläche für die zarte Kinderhaut. Diese Matratze müsste sich individuell an den Körper anpassen können, um Kindern bei einem schwierigen Start ins Leben helfen zu können.
Hierzu ermittelten die Forschenden zunächst die Druckverhältnisse an den verschiedenen Körperregionen von Neugeborenen. «Unsere Drucksensoren haben gezeigt, dass Kopf, Schultern und untere Wirbelsäule die Zonen mit dem grössten Risiko für Druckstellen sind», sagt Annaheim. Diese Ergebnisse flossen in die Entwicklung einer luftgefüllten Matratze der besonderen Art ein: Ihre drei Kammern können mit Hilfe von Drucksensoren und einem Mikroprozessor über eine elektronische Pumpe präzise so befüllt werden, dass der Druck an den jeweiligen Stellen minimiert wird. Eine an der Empa entwickeltes Infrarot-Laser-Verfahren erlaubte es dabei die Matratze aus einer flexiblen, mehrschichtigen und hautschonenden Polymermembran ohne störende Kanten zu erzeugen.
Nach einem mehrstufigen Entwicklungsprozess im Labor durften erste kleine Patientinnen und Patienten auf dem Prototyp der Matratze liegen. Der Effekt machte sich sofort bemerkbar, als die Forschenden die Matratze je nach den individuellen Bedürfnissen der Babys unterschiedlich stark mit Luft füllten: Gegenüber einer herkömmlichen Schaumstoffmatratze reduzierte der Prototyp den Druck auf die gefährdeten Körperstellen um bis zu 40 Prozent.
Nach dieser erfolgreichen Pilotstudie wird der Prototyp in den Empa-Labors nun weiter optimiert. Demnächst starten Simon Annaheim und Doktorand Tino Jucker eine grösser angelegte Studie mit der neuen Matratze mit der Abteilung für Intensivmedizin & Neonatologie am Kinderspital Zürich.
Textilsensoren mit lichtleitenden Polymerfasern ermöglichen es, den Druck und die Sauerstoffsättigung des Gewebes bis in tiefere Schichten der Haut in Echtzeit zu messen. Bild: Empa
Intelligente Sensoren beugen vor
In einem weiteren Projekt arbeiten Empa-Forschende daran, den sogenannten Dekubitus-Gewebeschäden bei Erwachsenen vorzubeugen. Hierbei werden die Risikofaktoren Druckbelastung und Durchblutungsstörung in hilfreiche Warnsignale umgewandelt.
Liegt man längere Zeit in der gleichen Position, führen Druck und Durchblutungsstörungen zu einer Unterversorgung des Gewebes mit Sauerstoff. Während der Sauerstoffmangel bei gesunden Menschen einen Reflex ausgelöst, sich zu bewegen, kann dieser neurologische Feedback-Loop etwa bei Menschen mit Querschnittslähmung oder bei Koma-Patienten gestört sein. Hier können smarte Sensoren helfen, frühzeitig vor dem Risiko eines Gewebeschadens zu warnen.
Im Projekt «ProTex» hat ein Team aus Forschenden der Empa, der Universität Bern, der Fachhochschule OST und der Bischoff Textil AG in St. Gallen ein Sensorsystem aus smarten Textilien mit zugehöriger Datenanalyse in Echtzeit entwickelt. «Die hautverträglichen textilen Sensoren enthalten zwei verschiedene funktionelle Polymerfasern», sagt Empa-Forscher Luciano Boesel vom «Biomimetic Membranes and Textiles»-Labor in St. Gallen. Neben Druck-sensitiven Fasern integrierten die Forschenden lichtleitende Polymerfasern (POFs), die der Sauerstoffmessung dienen. «Sobald der Sauerstoffgehalt in der Haut abfällt, signalisiert das hochempfindliche Sensorsystem ein steigendes Risiko für Gewebeschäden», erklärt Boesel. Die Daten werden dann direkt an den Patienten oder das Pflegepersonal übermittelt. So könne etwa eine liegende Person rechtzeitig umgelagert werden, bevor das Gewebe Schaden nimmt.
Patentierte Technologie
Die Technologie dahinter beinhaltet auch ein an der Empa entwickeltes neuartiges Mikrofluidik-Nassspinnverfahren für die Herstellung von POFs. Es erlaubt eine präzise Steuerung der Polymerkomponenten im Mikrometerbereich und eine sanftere, umweltfreundlichere Verarbeitung der Fasern. Das Mikrofluidik-Verfahren ist eines von drei Patenten, die bisher aus dem «ProTex»-Projekt hervorgegangen sind.
Ein weiteres Produkt ist ein atmungsaktiver Textilsensor, der direkt auf der Haut getragen wird. Das 2023 aus dem Projekt entstandene Spin-off «Sensawear» in Bern treibt derzeit die Markteinführung voran. Darüber hinaus ist Empa-Forscher Boesel überzeugt: «Die Erkenntnisse und Technologien aus «ProTex» werden künftig weitere Anwendungen im Bereich der tragbaren Sensorik und der smarten Kleidung ermöglichen.»