Empa-Forscher Raphael Kuhn will Lehm nachhaltig stabilisieren. Bild: Empa
Erdige Paste für Wohnhäuser
Das Potenzial dieser Beton-Alternative wäre gewaltig. Zwar könnte Beton nicht bei allen Bauzwecken durch Lehm ersetzt werden. Möglich sind aber – neben einer Vielzahl von nicht-tragenden Konstruktionen – tragende Wände von Wohnhäusern. Und immerhin werden mehr als die Hälfte aller Baubewilligungen beispielsweise in der Schweiz gerade für Wohnbauten vergeben. Dabei kann sogenannte gegossene Erde in einer Verschalung verwendet werden oder gepresster Lehm in Form von vorgefertigten Bausteinen. Und diese luftgetrockneten Lehmziegel haben eine entsprechend günstigere Energiebilanz als ihre gebrannten Artgenossen, die Backsteine.
Ein wahres Wundermittel? «Noch nicht», sagt Empa-Forscherin Bernard. Denn obwohl Lehm bereits seit rund 10'000 Jahren genutzt wird und damit zu den ursprünglicheren Baumaterialien der menschlichen Geschichte gehört, lässt sich die erdige Paste bis heute nicht so richtig in den Griff bekommen. Zum einen ist das Naturmaterial in seiner geologischen Zusammensetzung überall auf der Welt unterschiedlich, was die standardisierte Herstellung und Verwendung erschwert. Zum anderen wird dem Lehm derzeit herkömmlicher Zement zugefügt, damit ein stabiles und haltbares Baumaterial entsteht. Durch diese Zugabe rutscht der ökologische Fussabdruck des Lehms jedoch wieder in den roten Bereich. Ellina Bernard will darum gemeinsam mit ihrem Team das erdige Material ergründen, Standards für die Zusammensetzung und die mechanische Belastbarkeit definieren und damit gleichzeitig ein sauberes alternatives Baumaterial für die industrielle Anwendung entwickeln. Für dieses ehrgeizige Vorhaben wird die Empa-Forscherin mit einem der begehrten «Ambizione»-Grants des SNF gefördert.
Die sanfte Kraft von Magnesium
Der Verwandlung einer schlammigen Paste aus Wasser und Erde in ein felsenfestes Produkt haftet etwas Geheimnisvolles an. Um dies zu enträtseln und letztlich zu kontrollieren, taucht Ellina Bernard in das Innerste der Materie ein. Im Gegensatz zu Zement, den chemische Bindungen zusammenhalten, gehen die feinen Tonmineralien im Lehm bei der Lufttrocknung physikalische Bindungen ein. Eine Stabilität wie die von Beton ist auf diese Weise nicht zu erreichen. Darum sucht die Forscherin nach einem geeigneten stabilisierenden Bindemittel.
Unterstützung erhält sie hierbei vom Geologen Raphael Kuhn, der derzeit seine Dissertation über Lehm-Zusatzstoffe anfertigt. Ein vielversprechender Kandidat ist Magnesiumoxid. Bei entsprechend nachhaltiger Gewinnung hat es eine hervorragende Klimabilanz im Vergleich zu Calcium-haltigem Zement, dessen chemische Reaktion grosse Mengen an CO2 freisetzt. Zudem verkürzt Magnesiumoxid die Trocknungszeit, wirkt durch die Bildung von Nanokristallen der gefürchteten Klumpenbildung im Lehm entgegen und greift dennoch nur sanft in die vorteilhafte Mikro- und Nanostruktur der lehmigen Elementarteilchen ein.
In ersten Laborexperimenten erreicht das Team mit verschiedenen Lehm-Rezepturen bereits eine Druckfestigkeit von bis zu 15 Megapascal – ein Vielfaches von unbehandeltem Lehm. Zum Vergleich: Lehm mit Zementzusatz erreicht bis 20 Megapascal.
«Das ist aber erst der Anfang», sagt Ellina Bernard. Da sie die Nachhaltigkeit von Baumaterialien ganzheitlich beurteilen möchte, müssen die Laborexperimente auch von Lebenszyklusanalysen begleitet werden, die Haltbarkeit, Rückbau und Wiederverwertung der Materialien erfassen.