Sie ist vielversprechend, aber auch verblüffend und verwirrend: Quantentechnologie soll uns in den nächsten Jahrzehnten technologische Durchbrüche verschaffen, etwa kleinere und präzisere Sensoren, hochsichere Kommunikationsnetzwerke und leistungsstarke Computer, die in kürzester Zeit neue Medikamente und Materialien entwickeln helfen, Finanzmärkte steuern und das Wetter vorhersagen können.
Dafür brauchen wir sogenannte Quantenmaterialien: Stoffe, die ausgeprägte quantenphysikalische Effekte zeigen. Eines davon ist Graphen. Diese zweidimensionale Strukturform des Kohlenstoffs verfügt über ungewöhnliche physikalische Eigenschaften, etwa eine ausserordentlich hohe Zugfestigkeit, Wärme- und Stromleitfähigkeit. Schränkt man das ohnehin zweidimensionale Material räumlich noch mehr ein, etwa zu einem schmalen Band, entstehen kontrollierbare Quanteneffekte.
Genau dies macht sich das Team von Mickael Perrin zunutze: Im Empa-Labor «Transport at Nanoscale Interfaces», geleitet von Michel Calame, forschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Perrins Team an Graphen-Nanobändern. «Nanobänder aus Graphen sind noch faszinierender als Graphen selbst», erklärt Perrin. «Indem man ihre Länge und Breite sowie die Form ihrer Ränder variiert und sie mit anderen Atomen versetzt, kann man ihnen alle erdenklichen elektrischen, magnetischen und optischen Eigenschaften verleihen.»
Die extrem schmalen Bänder mit ihrem atomar präzisen Rand weisen starke Quanteneffekte auf, was sie für die Forschung besonders interessant macht. [Bild: Empa]
Echte Präzisionsarbeit – aufs Atom genau
Die Forschung an den vielversprechenden Bändchen gestaltet sich nicht immer einfach. Je schmaler das Band, desto deutlicher sind seine Quanteneigenschaften – aber desto schwieriger wird es auch, ein einzelnes Band anzusteuern. Genau das ist aber unabdingbar, um die Besonderheiten und möglichen Anwendungen dieses Quantenmaterials im Detail zu verstehen.
In einer neuen Studie, die vor kurzem in der Zeitschrift «Nature Electronics» veröffentlicht wurde, ist es Perrin, Jian Zhang und ihrem Team erstmals gelungen, einzelne lange, atomar genaue Graphen-Nanobänder elektrisch leitend zu kontaktieren. Keine triviale Aufgabe: «Ein Graphen-Nanoband, das nur neun Kohlenstoffatome breit ist, misst gerade einmal ein Nanometer in der Breite», sagt Zhang. Um einzelne Bänder zu kontaktieren verwendeten die Forscher ebenso kleine Elektroden: Kohlenstoff-Nanoröhrchen mit einem Durchmesser von ebenfalls nur einem Nanometer.
Die Präzision, die für einen solchen Versuch unabdingbar ist, beginnt bereits bei den Ausgangsmaterialien. Die Graphen-Nanobänder bezogen die Forschenden vom Empa-Labor «nanotech@surfaces» unter der Leitung von Roman Fasel, mit dem sie bereits seit langem zusammenarbeiten. «Roman Fasel und sein Team arbeiten schon lange an Graphen-Nanobändern und können viele verschiedene Arten davon mit atomarer Präzision aus einzelnen Ausgangsmolekülen synthetisieren», erklärt Perrin. Die Ausgangsmoleküle kamen vom Max-Planck-Institut für Polymerforschung in Mainz.
Will man den Stand der Technik vorantreiben, ist Interdisziplinarität der Schlüssel. So waren an der Studie unterschiedliche internationale Forschungsgruppen beteiligt, jede mit ihrem eigenen Spezialgebiet: Die Kohlenstoff-Nanoröhrchen stellte eine Forschungsgruppe an der Universität Peking her, und für die Interpretation der Ergebnisse arbeiteten die Empa-Wissenschaftler mit Forschenden der «University of Warwick» zusammen. «Ein solches Projekt wäre ohne Zusammenarbeit nicht möglich», betont Zhang.
Einzelne Bänder mit den Nanoröhrchen zu kontaktieren war eine Herausforderung für die Forschenden. «Die Kohlenstoff-Nanoröhrchen und die Graphen-Nanobänder werden auf separaten Substraten gezüchtet», erklärt Zhang. «Zuerst müssen die Röhrchen auf das Experimentsubstrat übertragen und mit Metallelektroden kontaktiert werden. Dann schneiden wir sie mittels hochauflösender Elektronenstrahllithografie, um sie in je zwei Elektroden zu trennen.» Schliesslich werden die Bänder auf dasselbe Substrat übertragen. Präzision ist dabei unabdingbar: Schon die kleinste Drehung der Substrate kann einen erfolgreichen Kontakt verhindern. «Der Zugang zu einer hochwertigen Infrastruktur am «Binnig and Roher Nanotechnology Center» am IBM-Forschungszentrum in Rüschlikon war entscheidend, um diese Technologie zu testen und umzusetzen», sagt Perrin.
Zukunftsmusik
Den Erfolg bestätigten die Wissenschaftler durch Messungen von Ladungstransport. «Quanteneffekte sind bei tiefen Temperaturen in der Regel deutlicher, deshalb haben wir die Messungen bei Temperaturen nahe am absoluten Nullpunkt im Hochvakuum durchgeführt», erklärt Perrin, und nennt zugleich eine besonders vielversprechende Eigenschaft von Graphen-Nanobändchen: «Dank ihrer extrem kleinen Grösse sind ihre Quanteneigenschaften sehr robust. Wir erwarten, dass sie sogar bei Raumtemperatur noch nachweisbar sind.» Dies, so der Forscher, könnte uns erlauben, Quantentechnologien zu entwickeln, die ohne aufwändige Kühlinfrastruktur auskommen.
«Dieses Projekt ermöglicht die Realisierung einzelner Nanoband-Devices, nicht nur zur Untersuchung grundlegender Quanteneffekte wie dem Verhalten von Elektronen und Phononen im Nanobereich, sondern auch zur Nutzung solcher Effekte für Anwendungen in den Bereichen Quantenschaltung, Quantensensorik und Quantenenergieumwandlung», fügt Hatef Sadeghi von der «University of Warwick» hinzu, der am Projekt mitgearbeitet hat.
Der Weg bis dahin ist indes noch weit – noch sind Graphen-Nanobänder nicht bereit für kommerzielle Anwendungen. In Folgestudien wollen Perrin und Zhang unterschiedliche Quantenzustände auf einem einzelnen Band kontrollieren, sowie zwei Nanobänder in Serie zu einem sogenannten doppelten Quantenpunkt zusammenschalten. Eine solche Schaltung könnte als Qubit dienen – die kleinste Informationseinheit eines Quantencomputers. Ausserdem will Perrin die Nutzung von Nanobändern als hocheffiziente Energiewandler erforschen, unterstützt von einem «ERC Starting Grant» sowie einem «SNSF Eccellenza Professorial Fellowship». In seiner Antrittsvorlesung an der ETH Zürich zeichnet er das Bild einer Welt, in der wir Strom aus Temperaturunterschieden gewinnen und kaum noch Energie als Wärme verlieren – in der Tat ein echter Quantensprung.
Autorin: Anna Ettlin
Internationale Zusammenarbeit
Mehrere Forschungsgruppen leisteten wichtige Beiträge zu diesem Projekt. Die Graphen-Nanobänder wurden vom Empa-Labor «nanotech@surfaces» unter der Leitung von Roman Fasel hergestellt, und zwar auf der Basis von Vorläufermolekülen, die das Team von Klaus Müllen vom Max-Planck-Institut für Polymerforschung in Mainz zur Verfügung stellte. Mitglieder des Empa-Labors «Transport at Nanoscale Interfaces» unter der Leitung von Michel Calame, in das auch die Gruppe von Mickael Perrin eingebettet ist, integrierten die Nanobänder in nanofabrizierte «Devices» integriert. Die für diese Studie benötigten, präzise ausgerichteten und qualitativ hochwertigen Kohlenstoff-Nanoröhrchen wurden von der Forschungsgruppe von Jin Zhang an der Universität Peking hergestellt. Und für die Interpretation der Studienergebnisse arbeiteten die Empa-Forschenden mit Computational Scientists der University of Warwick unter der Leitung von Hatef Sadeghi zusammen.