Neue Spielregeln für Tech-Riesen

Neue Spielregeln für Tech-Riesen
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Dr. Heiko Richter ist wissenschaftlicher Referent für Digitalisierung und Wettbewerbsrecht am Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb. [© MPI für Innovation und Wettbewerb]
Archiv | 12.03.2022 | Ein Interview mit dem Spezialisten für Wettbewerbsrecht Heiko Richter zum geplanten Digital Markets Act der EU.

Mit dem Digital Markets Act will die EU-Kommission die Marktmacht von Tech-Giganten wie Google, Apple, Facebook/Meta, Amazon oder Microsoft begrenzen und den Wettbewerb im europäischen Markt schützen. Im Interview erklärt Heiko Richter, wissenschaftlicher Referent für Digitalisierung und Wettbewerbsrecht am Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb, Ziele und mögliche Schwächen der geplanten Verordnung.

 

 

Die Idee, die Macht digitaler Giganten einzuschränken, ist nicht neu. Regeln, die den Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung oder unlautere Geschäftspraktiken ahnden, gibt es bereits. Was soll sich ändern?


Der Digital Markets Act, kurz DMA, der aktuell in den nicht öffentlichen Beratungen zwischen EU-Parlament, Rat und Kommission verhandelt wird, möchte einen EU-weit einheitlichen Rechtsrahmen für digitale Märkte vorgeben, um proaktiv Wettbewerbsverzerrungen zu verhindern und bestimmte Geschäftspraktiken zu unterbinden – zum Beispiel auf Smartphones vorab installierte Apps, die sich nicht löschen lassen. Ziel ist es auch, die Rechtsanwendung zu erleichtern und das Verfahren zu beschleunigen.


Wieso sind die bisherigen Regeln nicht ausreichend?


Bislang haben wir vor allem im Kartellrecht nur ex-post-Regeln: diese greifen erst, nachdem ein Verstoß vorliegt oder vermutet wird. Das hat zur Folge, dass es sehr lange dauert, bis es zu einer Sanktionierung des Verhaltens kommt. Zum Teil liegen die in Streit stehenden Handlungen bis zu zehn Jahre zurück und die Verfahren sind immer noch nicht abgeschlossen. Das Kartellrecht ist also im Ergebnis zu langsam, da es reaktiv greift.


Was soll sich ändern?


Die Grundidee des DMA als neue Verordnung ist die Regulierung vorab. Der DMA soll besonders großen Plattformdiensten Verhaltenspflichten auferlegen. Hierfür enthält er über ein Dutzend Ge- und Verbote, die mal mehr mal weniger konkret formuliert sind und von vornherein durch diese Dienste zu beachten sind, andernfalls drohen empfindliche Sanktionen.


Zu den neuen Regeln kommen wir gleich. Aber erstmal: Für wen gilt die geplante Verordnung?


Die genauen Anforderungen werden gerade verhandelt. Je nachdem, wie die Schwellenwerte bestimmt werden, könnten sie neben den bekannten Digital-Giganten auch europäische Plattformen wie Zalando oder Booking betreffen. Laut Kommissionsentwurf sollte ein Plattformdienst als „Gatekeeper“ gelten, wenn das Unternehmen, zu dem der Dienst gehört, mehr als 6,5 Milliarden Euro Jahresumsatz in der EU erwirtschaftet oder einen Marktwert von über 65 Milliarden Euro aufweist, und wenn der Dienst über 45 Mio. Endnutzer pro Monat sowie 10.000 gewerbliche Nutzer in der EU pro Jahr zählt – und zwar in den vergangenen drei Jahren. Das Europäische Parlament fordert etwas höhere Schwellenwerte, etwa 8 Milliarden Euro Umsatz und 80 Milliarden Euro Marktwert.


Welche Pflichten haben künftig Gatekeeper?


Bislang stehen 18 Pflichten im Raum, doch der Pflichtenkatalog kann nach den Verhandlungen größer sein. Besonders relevant sind etwa Verbote, die Registrierung für einen Dienst an die Registrierung eines anderen zu koppeln oder gewerblichen Nutzern zu untersagen, ihre Produkte und Leistungen auf Plattformen Dritter zu anderen Preisen und Bedingungen anzubieten. Außerdem müssten Betriebssysteme wie Googles Android oder Apples iOS zulassen, dass auf Smartphones andere App-Stores als ihre eigenen installiert werden. Die Praktiken der Selbstbevorzugung sollen explizit verboten werden, indem etwa eigene Dienste dem Verbraucher bevorzugt angeboten werden und dadurch der Markt für kleinere oder neue Wettbewerber verschlossen wird. Ebenso soll es künftig nicht mehr erlaubt sein, Daten für gewisse Zwecke zusammenzuführen und zu nutzen, wie es etwa Facebook vorgeworfen wird.


Klingt nach einer Lex Google, Lex Apple oder Lex Facebook…


In der Tat stecken hinter den einzelnen Pflichten Fälle, in denen die Kommission und die nationalen Wettbewerbsbehörden gegen diese Unternehmen vorgegangen sind. Einzelfallgesetze darf es nicht geben, aber es ist natürlich möglich, für eine Markttätigkeit in der EU abstrakte Kriterien zu definieren, um möglichst viele problematische Verhaltensweisen zu verhindern.


Sicherlich wird es am Anfang vor allem die US-amerikanischen Tech-Giganten mit ihren Services treffen: Apples und Googles Appstore, neben Googles Suchmaschine auch Microsofts Bing, Facebook und Whatsapp oder Amazon Marketplace. Auch der für B2B bedeutsame Bereich des Cloud-Computings etwa von Amazon, der den größten Anteil am Konzerngewinn ausmacht, wird betroffen sein. Diskutiert wird außerdem, Sprachassistenten wie Alexa oder vernetzte TV-Geräte mit einzubeziehen.


Schafft die Verordnung, die digitalen Märkte offener und fairer zu machen?


Entscheidend ist, wie die Verordnung konkret angewendet und durchgesetzt wird. Dabei sind noch viele Fragen offen: Wie ist das genaue Verfahren ausgestaltet? Wie ist das Verhältnis zwischen nationalen Wettbewerbsbehörden und der EU? Welche Rolle sollen nationale Gerichte bei der Durchsetzung der Regeln des DMA spielen?


Der EU-Kommission soll eine bedeutsame Rolle zufallen. Welche?


Laut Entwurf bekommt die EU-Kommission eine ganz zentrale Rolle, was in den Mitgliedstaaten durchaus umstritten ist. Der DMA erlaubt es der Kommission, verschiedenste Maßnahmen gegenüber den Gatekeepern anzuordnen. Das können verhaltensbezogene Maßnahmen sein, dass also ein Unternehmen etwas Bestimmtes nicht mehr tun darf oder aber etwas tun muss, bis hin zu strukturellen Maßnahmen wie etwa die Abspaltung ganzer Geschäftsbereiche. Gleichzeitig soll sie über die Einhaltung der Anordnungen wachen. Das alles erfordert, dass die EU-Kommission zahlreiche zusätzliche Stellen mit spezifischer Fachkompetenz schafft. So übernimmt sie eine völlig neue Rolle als Regulierer, und es bleibt mit Spannung abzuwarten, ob es ihr letztlich gelingt, den großen Tech-Unternehmen  auf Augenhöhe Paroli zu bieten.


Die neue Verordnung soll rasch in Kraft treten, Ziel ist 2023. Lassen sich denn alle Neuerungen unmittelbar umsetzen?


Das wird sich zeigen. Problematisch ist, dass viele technischen Fragen, die rechtlich relevant sind, nicht gelöst, sondern nur verschoben werden. Das Fine-Tuning erfolgt über sogenannte delegierte Rechtsakte, die von der Kommission erst noch erlassen werden müssen. In der Praxis zeigt sich, dass das Jahre dauern kann. Ein Beispiel: Bislang war die Deutsche Bahn nicht verpflichtet, Echtzeit-Angaben ihrer Züge anderen Verkehrsinformationsdiensten wie etwa Google Maps zur Verfügung zu stellen. Die entsprechende EU-Richtlinie, die das regelt, ist zwar seit 2010 in Kraft, die rechtlichen Details kamen 2017 in einem delegierten Rechtsakt der Kommission. Erst 2021 erhielten die Regelungen Eingang in das deutsche Personenbeförderungsgesetz, nach wie vor ist unklar, inwiefern die Deutsche Bahn Echtzeit-Angaben zur Verfügung stellen muss.


Was braucht es noch?


Die Effektivität der Durchsetzung durch die öffentliche Hand, also hier durch die EU-Kommission, hängt immer auch von der politischen Stoßrichtung ab. Und da können sich die Prioritäten schnell ändern. Die derzeitige Kommission mit Margrethe Verstager als Digitalkommissarin hat den DMA ganz oben auf der Liste, daher gibt es die Regeln überraschend schnell. Es garantiert aber nicht, dass es im Falle einer neuen Kommission mit neuer Agenda mit entsprechender Verve weitergeht.


Das Interview führte Michaela Hutterer.


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