Die menschlichen Sinnesorgane wandeln Informationen wie Licht oder Geruch in ein Signal um, das das Gehirn über Myriaden von Neuronen verarbeitet. Die Neuronen wiederum sind mit einer Vielzahl von Synapsen miteinander verbunden. Diese enorme Anzahl an Neuronen und Synapsen sowie die Fähigkeit des Gehirns, Synapsen zu trainieren beziehungsweise umzugestalten, ermöglicht es dem Menschen, sehr komplexe externe Signale zu verarbeiten und schnell eine Reaktion darauf zu bilden. Weltweit versuchen Forscher*innen, das Prinzip der Signalübertragung und des Trainings mit komplexen neuromorphen Computersystemen zu imitieren, also Systemen, die neurobiologischen Strukturen des menschlichen Nervensystems ähneln. Von einer mit dem menschlichen Gehirn vergleichbaren Informationsdichte und Effizienz sind die modernen Technologien jedoch noch weit entfernt.
Einer der Ansätze, mit denen neuromorphe Systeme verbessert werden sollen, ist das Reservoir-Computing. Dabei werden die eingehenden Signale in einem mehrdimensionalen Raum, dem sogenannten Reservoir, abgebildet. Das Reservoir wird nicht trainiert, sondern beschleunigt lediglich das Erkennen der Signale durch ein vereinfachtes künstliches neuronales Netz. Dadurch verringern sich die Rechenressourcen und Trainingszeit enorm. Ein typisches Beispiel für das natürliche Reservoir-Computing ist das menschliche Sehen: Im Auge werden die visuellen Informationen von Hunderten Millionen Photorezeptoren der Netzhaut vorverarbeitet und in elektrische Signale umgewandelt, die über den Sehnerv an das Gehirn weitergeleitet werden. Dieser Prozess reduziert erheblich die Datenmenge, die die Sehrinde im Gehirn verarbeiten muss. Moderne Computersysteme können die Funktion des Reservoirs bei der Verarbeitung digitaler Signale nachahmen. Der entscheidende Durchbruch wird jedoch erst erreicht, wenn Reservoir-Computing direkt mit analogen Signalen in einem natürlichen physikalischen System durchgeführt wird – wie beim menschlichen Sehen. Das internationale Team mit Forschern aus Dortmund, Loughborough, Kiew und Nottingham hat nun ein neuartiges Konzept entwickelt, das einen solchen Durchbruch deutlich näherbringt.
Die Forscher entwickelten ein Reservoir, das auf akustischen Wellen (Phononen) und Spinwellen (Magnonen) basiert, die in einem Chip von 25x100x1 Kubikmikrometern miteinander gemischt werden. Der Chip besteht aus einem akustischen Wellenleiter, durch den viele verschiedene akustische Wellen geleitet werden können und der von einem strukturierten magnetischen Film von nur 0,1 Mikrometern bedeckt ist. Ultrakurze Laserpulse liefern die Informationen, die vorverarbeitet werden, indem sie in ein Phonon-Magnon-Wellenpaket umgewandelt werden. Diese Wellen, die sich nun ausbreiten, haben kurze Wellenlängen und verfügen somit über eine hohe Informationsdichte. Die ermöglicht es, visuelle Formen sicher zu erkennen, die der Laser auf eine bemerkenswert kleine Fläche von weniger als einem Fotopixel zeichnet.
Professor Alexander Balanov von der Universität Loughborough, einer der Autoren, erklärt: „Das Potenzial des als Reservoir vorgeschlagenen physikalischen Systems war für uns aufgrund seiner erstaunlichen Kombination von Variabilität und Multidimensionalität sofort offensichtlich.“ Sein Kollege Professor Sergey Savel‘ev unterstreicht, wie sehr das Konzept der Funktionsweise des menschlichen Gehirns ähnelt: „Die Funktionsweise des entwickelten Reservoirs basiert auf der Interferenz und Mischung der optisch erzeugten Wellen, was dem kürzlich vorgeschlagenen Mechanismus der Informationsverarbeitung im biologischen Kortex sehr ähnlich ist.“
Dr. Alexey Scherbakov, der das Projekt an der TU Dortmund leitete, fasst zusammen: „Unser Konzept ist sehr vielversprechend, denn es basiert auf der Umwandlung des einkommenden Signals in hochfrequente akustische Wellen, wie sie bereits in modernen drahtlosen Kommunikationsgeräten verwendet werden. Unser akustischer Frequenzbereich oberhalb von 10 GHz ist zwar etwas höher als der derzeit verfügbare, aber er wird von den nächsten drahtlosen Kommunikationsstandards angestrebt. Wer weiß, vielleicht hilft Ihnen Ihr Mobiltelefon in ein paar Jahren, sehr menschliche Entscheidungen zu treffen.“
Ihre Ergebnisse wurden kürzlich als Editor’s Highlight in Nature Communications vorgestellt.