Mit Gläsern verbinden die meisten Menschen vermutlich Fensterscheiben, Trinkgläser oder Brillengläser. An Metalle wird dabei kaum einer denken. Dabei spielen die so genannten metallischen Gläser oder amorphen Metalle eine zunehmend große Rolle in der Wissenschaft wie auch in der Technologie. Metallschmelzen, die binnen Sekundenbruchteilen so weit heruntergekühlt werden, dass sie schnell erstarren, wirken auf atomarer Ebene chaotisch und ungeordnet. Anders als Metallschmelzen, die langsam erstarren, bilden ihre Atome keine regelmäßige Kristallstruktur, sondern bleiben in etwa dort, wo sie während der Abkühlphase waren. Diese Unordnung im Aufbau verleiht dem Metallischen Glas Eigenschaften, die ganz anders sind als in einer herkömmlichen kristallinen Legierung. Diese Metallischen Gläser sind zum Beispiel fester als Stahl, aber gleichzeitig elastisch wie Kunststoff.
Was bei diesem „schockartigen“ Übergang von der flüssigen in die feste Phase auf atomarer Ebene, dem so genannten „Glasübergang“, geschieht, erforscht Isabella Gallino seit vielen Jahren. Vor wenigen Jahren konnte die Materialforscherin zum Beispiel mit einem Paradigma aufräumen, das bis dahin Gültigkeit in der Materialforschung hatte: dass eine Metallschmelze beim Glasübergang im gleichen Maße ihre Eigenschaften als Flüssigkeit verliert, wie sie die Eigenschaften eines Feststoffes annimmt. Das liegt an der unterschiedlichen Größe der Atome: Während die großen Atome bereits eingefroren und in ihrer Bewegung erstarrt sind, bewegen sich die kleineren Atome nach wie vor und verschaffen der Legierung auch dann noch die Eigenschaften einer Flüssigkeit. Erst wenn auch die kleineren Atome einfrieren, erstarrt die Flüssigkeit schließlich vollends zu einem Glas.
Dieser Umstand ist entscheidend für das Verständnis dafür, was Isabella Gallino und ihre Kollegen, darunter Professor Ralf Busch und mehrere seiner Doktoranden (ebenfalls Universität des Saarlandes) sowie Daniele Cangialosi (Zentrum für Materialphysik (CFM), San Sebastián, Spanien) nun herausfinden konnten: Je kleiner ein Metalltröpfchen im Experiment ist, desto länger kann es sich gegen das Einfrieren zum Glas „wehren“. Dies ist für Probendimensionen unterhalb von zehn Mikrometern Größe wichtig. Das bedeutet, vereinfacht gesagt, dass eine kleinere Probe einer Legierung bei tieferen Temperaturen zu einem metallischen Glas erstarrt. Ein 10,8 Mikrometer großes Tröpfchen friert bereits rund 40 Grad Kelvin oberhalb der Temperatur zu metallischen Glas ein, bei der eine rund 1,3 Mikrometer kleine Probe erstarrt. „Von tiefen Temperaturen kommend bedeutet dies im umgekehrt nichts anderes, als dass solche kleineren Stücke amorpher Legierungen im Alltag schneller wieder auftauen als größere“, erläutert Materialwissenschaftler Ralf Busch das Fazit. Das Material wird wieder „flüssig“ und verliert seine Eigenschaften, die es als festes metallisches Glas hatte. Oberhalb von rund 10 Mikrometern nimmt der Effekt stark ab. Dann verhalten sich glasbildende Materialien sämtlicher Größenskalen wieder gleich. Das Einfrieren und Auftauen am Glasübergang wird mit einem so genannten Chip Kalorimeter (Flash DSC) gemessen, in dem man kleine Probenmengen mit sehr großen Kühl- und Heizraten untersuchen kann.
„Dieser Effekt ist universell“, sagt Isabella Gallino über die weitreichenden Konsequenten ihrer Entdeckung. Denn er gilt nicht nur für metallische Legierungen, sondern auch für alle anderen Materialien, die nicht kristallisieren, sondern durch einen Glasübergang erstarren. Das gilt auch für eine Vielzahl der Stoffe im Universum, die in ihrer kondensierten Form oft amorphe Strukturen bilden statt einer geordneten Kristallstruktur. Selbst Wasser, das auf der Erde in gefrorenem Zustand in der Natur eigentlich immer kristallin ist, ist im gesamten Universum, zum Beispiel in Kometen, bei unter -150 Grad Celsius fast ausschließlich „glasartig“ bzw. amorph vorhanden. Wissenschaftlich betrachtet ist der Glasübergang von einer Flüssigkeit zum Feststoff also ein fundamentaler Prozess.
Daher ist die Beobachtung von Isabella Gallino, Ralf Busch und ihren internationalen Kolleginnen und Kollegen von höchstem Interesse für viele Gebiete, zum Beispiel für die Halbleiterindustrie oder bei Verbundwerkstoffen. Dort gibt es viele Materialien, die auf Mikrometerebene miteinander verbunden sind. Da man nun weiß, dass die Stoffe auf dieser Größenskala schneller „in Unordnung geraten“ und ihre Eigenschaften verlieren, je kleiner sie sind, können Materialwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler dieses Wissen künftig nutzen, um noch gezielter die Haltbarkeit von Materialien zu beeinflussen.
Die Studie wurde im hochrangigen Fachjournal Nature Communications veröffentlicht.