Das menschliche Gehirn ist modernen Computern noch immer in mancherlei Hinsicht überlegen. Zwar können die meisten Menschen nicht so gut rechnen wie ein Computer – dafür verarbeiten wir mühelos komplexe sensorische Informationen und lernen aus unseren Erfahrungen, was ein Computer (noch) nicht kann. Und dabei verbraucht das Gehirn nur knapp halb so viel Energie wie ein Laptop.
Einer der Gründe für die Energieeffizienz des Gehirns ist sein Aufbau. Die einzelnen Neuronen und ihre Verbindungen, sogenannte Synapsen, können Informationen sowohl speichern als auch verarbeiten. Bei Computern hingegen ist der Speicher vom Prozessor getrennt, und die Daten müssen zwischen diesen beiden Einheiten hin- und hertransportiert werden. Die Geschwindigkeit dieses Transports ist begrenzt, was bei sehr grossen Datenmengen den ganzen Rechner langsamer macht.
Eine mögliche Lösung für diesen Engpass sind neuartige Computerarchitekturen, die dem menschlichen Gehirn nachempfunden sind. Dafür tüfteln Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an sogenannten Memristoren: Bauteilen, die, ähnlich wie Gehirnzellen, die Speicherung und die Verarbeitung von Daten kombinieren. Ein Team von Forschenden der Empa, der ETH Zürich und des «Politecnico di Milano» hat nun einen Memristor entwickelt, der leistungsfähiger und einfacher in der Herstellung ist als seine Vorgänger. Ihre Ergebnisse veröffentlichten die Forschenden vor kurzem in der Fachzeitschrift «Science Advances».
Leistung dank gemischter Leitfähigkeit
Die neuartigen Memristoren basieren auf Halogenid-Perowskit-Nanokristallen, einem Halbleitermaterial, das aus der Herstellung von Solarzellen bekannt ist. «Halogenid-Perowskite leiten sowohl Ionen als auch Elektronen», erklärt Rohit John, der bis vor Kurzem als «ETH Fellow» und Postdoc an der ETH Zürich und an der Empa arbeitete. «Diese doppelte Leitfähigkeit ermöglicht komplexere Berechnungen, die den Prozessen im Gehirn näherkommen.»
Den experimentellen Teil der Studie führten die Forschenden vollständig an der Empa durch: Sie stellten die Dünnschicht-Memristoren im «Thin Films and Photovoltaics Laboratory» her und untersuchten deren physikalischen Eigenschaften im «Transport at Nanoscale Interfaces Laboratory». Basierend auf den Messresultaten simulierten sie daraufhin eine komplexe Rechenaufgabe, die einem Lernprozess im visuellen Cortex des Gehirns entspricht. Dabei ging es darum, anhand von Signalen von der Netzhaut die Ausrichtung eines Leuchtbalkens zu bestimmen.
«Unseres Wissens ist dies erst das zweite Mal, dass diese Art von Berechnung auf Memristoren durchgeführt wurde», sagt Maksym Kovalenko, ETH-Professor und Leiter der Forschungsgruppe «Functional Inorganic Materials» an der Empa und der ETH Zürich. «Dabei sind unsere Memristoren wesentlich einfacher herzustellen als die bisherigen.» Denn im Gegensatz zu vielen anderen Halbleitern brauchen Perowskite keine hohen Temperaturen für die Kristallisation. Ausserdem entfällt bei den neuen Memristoren die aufwändige Vorkonditionierung durch bestimmte elektrische Spannungen, die vergleichbare Bauteile für solche Rechenaufgaben benötigen. Das macht sie schneller und energieeffizienter.
Ergänzen, nicht ersetzen
Noch ist die Technologie nicht ganz einsatzbereit. Die einfache Herstellung der neuen Memristoren erschwert zugleich ihre Integration mit bestehenden Computerchips: Perowskite können den Temperaturen von 400-500 Grad Celsius, die für die Verarbeitung von Silizium benötigt werden, nicht standhalten – zumindest noch nicht. Laut Daniele Ielmini, Professor am «Politecnico di Milano», ist diese Integration aber der Schlüssel zum Erfolg für die neuen gehirnähnlichen Computertechnologien. «Es ist nicht unser Ziel, die klassische Computerarchitektur zu ersetzen», erklärt er. «Vielmehr wollen wir alternative Architekturen entwickeln, die bestimmte Aufgaben schneller und energieeffizienter erledigen können. Dazu gehört zum Beispiel die parallele Verarbeitung von grossen Datenmengen, wie sie heute überall anfallen, von der Landwirtschaft bis hin zur Weltraumforschung.»
Vielversprechend: Es gibt noch weitere Materialien mit ähnlichen Eigenschaften, die für die Herstellung von leistungsfähigen Memristoren in Frage kommen. «Wir können unser Memristoren-Design nun mit unterschiedlichen Materialien testen», sagt Alessandro Milozzi, Doktorand am «Politecnico di Milano». «Womöglich eignen sich manche davon besser für die Integration mit Silizium.»